Sonntag, 27. Mai 2018

436 „Zwei Krypten und das Monster am Fluss“

Teil  436 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein



Foto 1: Der Dom zu Bremen. Ansichtskarte von  1899

Der St.-Petri-Dom zu Bremen hat eine lange, sehr lange Geschichte. Das höchst imposante sakrale Bauwerk von heute ist nicht mehr das „Original“. „Wikipedia“ berichtet unter dem Stichwort „Bremer Dom“: „Der St.-Petri-Dom in Bremen ist ein aus Sandstein und Backstein gestalteter romanischer Kirchenbau, der vom 11. Jahrhundert an über den Fundamenten älterer Vorgängerbauten errichtet und seit dem 13. Jahrhundert im Stil der Gotik umgebaut wurde. Im 14. Jahrhundert gab es Erweiterungen um seitliche Kapellen. 1502 begann die Umgestaltung in eine spätgotische Hallenkirche, die aber über ein neues Nordseitenschiff nicht hinauskam, als die Reformation weitere Ausbauten stoppte.

Im späten 19. Jahrhundert erfolgte eine umfangreiche Renovierung des innen durchaus gepflegten, äußerlich aber schäbig wirkenden Baus, von dem einer der beiden Türme eingestürzt war. Die Gestaltung orientierte sich überwiegend am Vorhandenen und an alten Darstellungen, jedoch verstieg man sich zu einigen Zutaten wie dem neoromanischen Vierungsturm. Das Gotteshaus gehört heute zur evangelisch-lutherischen Domgemeinde St. Petri. Es steht seit 1973 unter Denkmalschutz.“

Foto 2: Blick in die Westkrypta.

Bereits im Jahre 1638 stürzte der Südturm ein, wurde mehr schlecht als recht „restauriert“. Lange Zeit sollte das Provisorium nicht bestehen. Dombaumeister Ernst Erhardt stellt in seinem „Handbuch und Führer“ (1) fest: „Wenige Jahrzehnte später wurden die Spitze des Südturms und ein Teil des Kirchendaches durch Brand zerstört. Seit jener Zeit war die ehemals stolze und stattliche Kathedrale der bremischen Erzbischöfe dem Verfall anheim gegeben, der immer weiter fortschritt und bis in die neuere Zeit dauerte.

Ein Teil der Westseite lag in Trümmern, große Flächen der ehemals fest gefügten Mauern hatte das Wetter arg zerfressen, die Portale waren zerstört, Bildwerke abgemeißelt. So bot im Westen die Kirche in ihrer Verstümmelung und Verwitterung einen unerfreulichen Anblick. Aber auch an den übrigen Seiten schritt der Verfall … fort. .. Im Inneren waren die Gewölbe durch das Ausweichen der Mauern sehr schadhaft geworden, und deckten mehrere Anstriche die alten Malereien. Die vielen Schäden, die das Gebäude in den letzten Jahrhunderten durch Feuer und Menschenhand erlitten hatte, wurden entweder gar nicht oder nur notdürftig beseitigt. Endlich, im Jahre 1888, begann eine großartige Wiederherstellung des Domes in all seinen Teilen.“

Foto 3: Blick in die Ostkrypta.

Wer noch echten „Ur-Dom“ erleben will, der muss in die Unterwelt hinab steigen, und zwar in die Westkrypta. Sie ist der älteste erhaltene Raum Bremens. Geweiht wurde die Westkrypta im Jahre 1066 von Erzbischof Adalbert. Auf der offiziellen Homepage des Doms lesen wir (2): „Ihr beträchtliches Alter ist der Westkrypta auch äußerlich anzumerken: unregelmäßig geschichtetes Mauerwerk, Säulenkapitelle mit eigenartigem steinernem Flechtwerk und Tierdarstellungen unterstreichen den altertümlichen Raumeindruck.“

Das gilt natürlich auch für die Ostkrypta. Erstaunlich offen heißt es auf der Homepage des Bremer Doms (3):

Foto 4: Säulen mit geheimnisvollen Darstellungen um den Altar

„Dieser einheitlich frühsalische Raum ist in seiner ursprünglichen Gestalt unverändert geblieben. Schon Erzbischof Bezelin wird ihn 1042 angelegt und Erzbischof Adalbert die Bauarbeiten fortgesetzt haben. Unter Erzbischof Liemar († 1101) erhielt die Ostkrypta ihre endgültige Gestalt.“ Und weiter: „Besondere Beachtung verdienen die Kapitelle der Säulen im Altarbereich. Heidnisch/germanische Symbole wie der Fenris-Wolf, die Midgardschlange sind hier vermutlich dargestellt. Blüten- und Blumenmotive ergänzen das Bildprogramm. An anderer Stelle sind Pentagramm und Maske zu finden.“

Der Bremer Dom wurde (4) „vom 11. Jahrhundert an über den Fundamenten älterer Vorgängerbauten errichtet“. Es ist also durchaus möglich, dass die Ostkrypta wie die Fundamente von älteren Vorgängerbauten übernommen wurde.

Wen wir uns der Ostkrypta und besonders den mysteriösen Darstellungen an den Säulenkapitellen zu. Sie sind so etwas wie ein Buch in Stein, das eine faszinierende Geschichte erzählt. Und diese Geschichte ist von besonderer Bedeutung für das christliche Deutschland. Es geht um eine spannende Zeit des Übergangs, nämlich vom Heidentum zum Christentum. Nirgendwo sonst wurde so deutlich geschildert, dass das Heidentum keineswegs von heute auf morgen spurlos verschwunden ist, um dem neuen Glauben, dem Christentum, Platz zu machen.


Fotos 5 und 6: Christrose in der Ostkrypta.

Diese Geschichte wird von diversen Darstellungen an Säulenkapitellen in der Ostkrypta erzählt. Man kann die etwa tausendjährigen Steinreliefs wie ein Buch lesen, benötigt dazu keinen Text. Anders als die Säulenkapitelle im Hamelner Münster sind die Steinreliefs in der Bremer Ostkrypta nicht in schwindelnder Höhe, sondern fast in Augenhöhe angebracht.

Im steinernen „Buch“ der Ostkrypta des Doms zu Bremen begegnen christliche und heidnische Symbole einander. Sollten Sie den Dom besuchen, dann empfehle ich ihnen der Ostkrypta möglichst viel Zeit zu widmen. Lassen Sie die Zeichen und Symbole auf sich wirken. Die kuriosen Mumien aus dem einstigen „Bleikeller“ sind gruselige Kuriosa, aber weit weniger wichtig, wie ich meine.


Foto 7: Christus-Rose und der Wotan-Rabe.

Wenn ich in die Ostkrypta des Doms zu Bremen hinabsteige, dann kommt es mir so vor, als würde ich mit jeder Treppenstufe die lärmende Hektik des 21. Jahrhunderts ein Stück weiter hinter mir zurücklassen. In der „Unterwelt“ der Ostkrypta stört mich die Bestuhlung ein wenig. Der niedrige Raum mit den wie aus Stein gewachsenen Säulen wäre in seiner Schlichtheit ohne diese Sitzmöbel aus unseren Tagen noch beeindruckender. Mir wird klar: Jeder von uns trägt zum Lärm, der die Konzentration auf Wichtigeres erschwert, selbst bei. Wir beklagen uns, dass wir „keine Zeit haben“, aber warum nehmen wir uns nicht einfach Zeit, etwa um in der Ostkrypta des Doms zu Bremen einfach nur die Stille auf uns wirken zu lassen? Könnte es sein, dass wir dann die Darstellungen, die vor rund einem Jahrtausend in den Stein gemeißelt wurden, intuitiv verstehen?

Foto 8: Christus-Rose und Wotan-Rabe nebeneinander

Immer wieder taucht an den Säulenkapitellen ein Symbol auf, das uns Wolfgang Oehrl so erklärt (5): „Christus (symbolisiert durch die Rose) verdrängt die Unendlichkeitsspirale und den Wotansraben.“ Die Rose als Symbol für Christus ist mir schon bei meinem ersten Besuch vor Ort aufgefallen. Freilich sehe ich keine Verdrängung. Vielmehr harmonieren die verschiedenen Symbole miteinander. Offenbar existierten vor rund einem Jahrtausend Christentum und Heidentum nebeneinander.

Neben die „Christus-Rose“ wurde ein Rabe gesetzt, Symboltier des Wotan (6). Wotan alias Odin war der mächtige Göttervater, auch Kriegs- und Totengott, der Gott der Dichtung und der Magie. Wer genauer hinsieht, der entdeckt, meist doppelt, Eschenblätter, also Blätter von Yggdrasil, vom „Weltenbaum“. Nach alter Mythologie fand Wotan, in Begleitung von zwei weiteren Göttern, am Strand zwei Baumstämme, nämlich einer Esche und einer Ulme oder Erle (7). Aus der Esche entstand der erste Mann, aus dem anderen Baumstamm die erste Frau. Eschenblätter und Rabe neben der Christus-Rose weisen meiner Meinung nach auf ein Neben- und Miteinander von „heidnischem!“ und „christlichem“ Glauben hin.


Foto 9: Kampf zwischen Schlange und Wolf.

Sehr interessant ist die Darstellung eines Kampfes zwischen einem Wolf und einer Schlange. Wolfgang Oehrl erklärt (8): „Ein Rabe weist auf Wotan, die vielen Eschenblätter auf den Weltenbaum Yggdrasil, der Fenris-Wolf (das Böse) kämpft gegen die Midgardschlange, die den Lebensraum unserer Vorfahren schützen soll.“

In der nordischen Mythologie waren der Fenris-Wolf und die Midgard-Schlange Todfeinde. Die Midgard-Schlange beschützte die Erde vor dem Urozean. So wie ich die Darstellungen in der Ostkrypta des Doms zu Bremen verstehe, kämpfte sie gegen den Fenris-Wolf und sicherte die Christus-Rose. Mit anderen Worten: Die nordische Mythologie muss vor rund einem Jahrtausend noch so mächtig gewesen sein, dass sie von den frühen Christen zumindest teilweise übernommen wurde. Die Menschen waren noch im alten Glauben verwurzelt. Es sollte ihnen leichter gemacht werden, zum neuen Glauben zu wechseln, einfach indem im neuen Glauben Motive aus dem alten Glauben auftauchten.

Foto 10: Abstrakte Dekoration oder mysteriöses Gesicht?

„Panta rhei“ heißt es im Altgriechischen. Heraklit (* um 520 v. Chr.; † um 460 v. Chr.) soll das Wort geprägt haben. Plato (*428/427 v.Chr., †348/347 v.Chr.) zitierte die Formel und Simplikios (etwa 480-490n.Chr., † nach 550 n.Chr.). Die Römer übersetzten das prägnante Wort mit „cuncta fluunt“. Zu Deutsch: „Alles fließt“.

„Alles fließt“… Uralter Glaube verschwindet nicht. Er wird nicht ersatzlos gestrichen, um neuer Religion Platz zu machen. Tief verwurzelte Überzeugungen tauchen in neuem Gewand wieder auf. Für die altnordischen Sagen war der Fenris-Wolf, den die Götter fürchteten, das Böse, den die Götter fürchteten. In der Krypta zu Bremen ist es der Fenris-Wolf, der das Christentum gefährdet. Die Midgard-Schlange schützt nun nicht die Welt vor dem Urozean, sondern den christlichen Messias und kämpft gegen den Fenris-Wolf. Der Fenris-Wolf, auch „Monster am Fluss“ genannt, überlebte jede Religionsreform. Im Aberglauben des Hexenwahns diente er den Hexen als Reittier.

Foto 11: Augen, Nase, ein Gesicht... oder verschlungene Linien

Wenn Theologen es ernst meinen, versuchen sie Bilder des Glaubens zu ihren Ursprüngen zurück zu verfolgen.


Fußnoten
1) Erhardt, E(rnst): „Der Dom in Bremen/ Handbuch und Führer“, Bremen 1921, Seite 4 (Die Schreibweise wurde nicht der heutigen angepasst, sondern belassen!)
2) http://stpetridom.de/index.php?id=26&L=0
3) http://stpetridom.de/index.php?id=27
4) 1) Erhardt, E(rnst): „Der Dom in Bremen/ Handbuch und Führer“, Bremen 1921, Seite 4
5) Oehrl, Wolfgang: „Glaubenswandel vor 1000 Jahren“, Artikel schienen in „NORDWEST ZEITUNG“ vom 16. Dezember 2017, S. 4
6) Andere Schreibweise: Wodan
7) Der zweite Baum wird als „Embla“ bezeichnet. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Ulme oder Erle.
8) Oehrl, Wolfgang: „Glaubenswandel vor 1000 Jahren“, Artikel schienen in „NORDWEST ZEITUNG“ vom 16. Dezember 2017, S. 4

Foto 12: Beeindruckende, schlichte Kunst aus Stein.

Zu den Fotos

Alle Fotos entstanden am Freitag, den 2. März 2018, am Wochenende des 23. Seminars "Fantastische Phänomene". "Fantastische Phänomene" findet immer am ersten Wochenende im März in  Bremen-Vegesack statt.

Foto 1: Der Dom zu Bremen. Ansichtskarte von  1899.  Foto/ Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Blick in die Westkrypta. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Blick in die Ostkrypta. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Säulen mit geheimnisvollen Darstellungen um den Altar. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6: Christrose in der Ostkrypta. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Christus-Rose und der Wotan-Rabe. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Christus-Rose und Wotan-Rabe nebeneinander. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Kampf zwischen Schlange und Wolf. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Abstrakte Dekoration oder mysteriöses Gesicht? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Augen, Nase, ein Gesicht... oder verschlungene Linien? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Beeindruckende, schlichte Kunst aus Stein. Foto Walter-Jörg Langbein

437 „Der steinerne Riese von Thelitz“,
Teil  437 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint bereits am 03.06.2018


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Sonntag, 20. Mai 2018

435 „Die heidnische Göttin am Münster?“

Teil  435 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein

Bei meinem ersten Besuch des Hamelner „Münster St. Bonifatius“ versuchte ich, das altehrwürdige Gotteshaus zu umrunden. Das gelang mir auch weitestgehend, heckenartiger Baumbewuchs an einer Stelle zum Trotz. Hoch, ja ehrfurchtgebietend ragt das Mauerwerk in den Himmel. Massiv ist die Bauweise, so dass das Münster wacker den Jahrhunderten trotzen konnte. Es wirkt im Vergleich zu modernen Bauten zeitlos.

Fotos 1 und 2: Die „Matrone“ am Hamelner Münster. leicht zu übersehen

Ich machte zahlreiche Aufnahmen, auch von der Rückseite der alten Kirche. Das Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die Toten von beiden Weltkriegen fiel mir natürlich auf, groß genug ist es ja. Schön ist es nicht unbedingt, aber das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Und über Geschmack, so sagt das alte lateinische Sprichwort, soll man nicht streiten. Im Lateinischen heißt es: „Dē gustibus nōn est disputandum.“ Übersetzt ins Deutsche: „Über Geschmäcker soll man nicht disputieren.“ (1) Mit anderen Worten: Es gibt nicht den „richtigen“ oder den „falschen“ Geschmack. Ich persönlich empfinde das „Kriegerdenkmal“ am Hamelner Münster als unpassend zum altehrwürdigen sakralen Gebäude.

Übersehen habe ich allerdings eine mysteriöse Steinskulptur an der Außenwand des Münsters zu Hameln, die allerdings durch die beiden „Zähne“ des Denkmals abgedeckt wird, so man direkt davor steht. Ich gebe es zu: Hastigen Schritts eilte ich weiter, ich wollte doch genügend Zeit für die Säulenkapitelle mit geheimnisvollen Darstellungen im Inneren haben.

Foto 3: Im gelben Kreis... die „Matrone“
Betrachtet man die stark verwitterte Figur an der Außenwand näher, etwa mit Hilfe eines starken Teleobjektivs, so fällt der unverhältnismäßig große Kopf der Gestalt auf. Ich machte eine Reihe von Aufnahmen, zuletzt mit meiner Nikon D800E unter Verwendung eines 300-Millimeter-Teleobjektivs. Je nachdem aus welchem Blickwinkel man die seltsame Statuette betrachtet, werden die Beschädigungen mehr oder weniger erkennbar.

Wie zwei riesige Zähne oder Rippen ragt das Kriegerdenkmal empor und verdeckt, wenn man direkt davor steht, die mysteriöse Statuette an der Außenwand.

Mehrere Jahre habe ich recherchiert. Ich habe Fachliteratur studiert. Nirgendwo findet sich ein Hinweis auf die seltsame Figur, von einer Erklärung ganz zu schweigen. Schon 2014 wandte ich mich an Pastorin Friederike Grote, die meine Anfrage an Herrn B.G. weiterleitete, der in Fragen zum Hamelner Münster sehr bewandert ist. Herrn Gs Antwort fiel für mich, offen gesagt, ernüchternd aus (2): „Ich denke, dass der sehr starke Verwitterungsgrad der Figur eine sichere Deutung nicht mehr zulässt. Joachim Schween (3), den ich auch zu Rate gezogen habe, ist derselben Meinung. Er hält eine Mariendarstellung  für möglich. Maria Magdalena, die reuige Sünderin, ist nicht auszuschließen. Zu ihr passen die offen getragenen Haare. In der mir bekannten Literatur zum Münster gibt es keine Hinweise auf die Figur.“

Foto 4: Maria Magdalena von Lübeck
Tatsächlich gibt es im Dom zu Lübeck eine Maria Magdalena, die eine mit kostbaren Steinen besetzte „Haube“ trägt. Die Lübecker Maria Magdalena hat schulterlanges Haar, das „lockig“ fällt. Die Hamelner Statuette könnte auch ihr langes Haar offen tragen. Sollte sich also an der Rückseite des Hamelner Münsters eine alte Statue der Maria Magdalena befinden?

Der älteste Teil des Münsters, die Krypta, ist wohl bereits kurz nach 800 entstanden. Wechselhaft verlief die Geschichte des Gotteshauses. 1259 brach ein Brand aus, bauliche Erneuerungen wurden erforderlich. Aus welcher Zeit mag nun die Statuette stammen, über die offiziell nichts bekannt ist? Sie weist ganz erhebliche Verwitterungsspuren auf und sieht sehr viel älter als das Mauerwerk aus, in das sie respektvoll eingesetzt wurde.

Woher stammt die Figur? Befand sie sich bis zum Brand Mitte des 13. Jahrhunderts im Inneren des Münsters und wurde sie nach den Renovierungsmaßnahmen außen am Gotteshaus angebracht? Wollte man Maria Magdalena aus der Kirche verbannen? Ließ man sie aus Respekt vor der Frau, die nach apokryphen Schriften der Gnostiker die Lieblingsjüngerin Jesu war, nicht einfach verschwinden? Sollte die steinerne Figur gar aus der ersten Bauphase des Münsters stammen? Oder ist sie noch älter? Dann könnte sie über ein Jahrtausend alt sein. Derlei Gedanken sind freilich rein spekulativ.

Ich wiederhole meine Überlegung: Ist die Statuette womöglich älter als das Münster? Stammt sie gar aus einem heidnischen Tempel der drei Matronen?

Sophie Lange ist die Autorin des Standardwerks „Wo Göttinnen das Land beschützten“ (4). Zum Jahrtausendwechsel gab es im Propsteimuseum der alten „Römerstadt“ Zülpich eine bemerkenswerte Ausstellung statt. Im Ausstellungskatalog schreibt die profunde Kennerin des Matronenkults (5):

Fotos 5 und 6: Die Statuette am Hamelner Münster

„Die Mutter Natur war den Urmenschen heilig. Sie war die Lebensspenderin, die Nahrungsgebende und die Schützerin. Aber auch Himmel und Unterwelt gehörten zu ihrem Reich. Neben der Großen Göttin und anderen bedeutenden Gottheiten wurden lokale Göttinnen und Götter verehrt, die für ein bestimmtes Landschaftsgebiet mit seinen Siedlungen zuständig waren. Mensch und Tier, Feld und Flur, Haus und Gut standen unter ihrem besonderen Schutz. Zu diesen lokalen Genien gehören die Matronen. In dem Gebiet zwischen Eifel und Rhein verdrängten sie fast alle anderen Götter. Sie waren die Mächtigsten, die das Land beschützten.“

Die Matronen waren Schutzgöttinnen, die vom ausgehenden ersten bis ins dritte Jahrhundert hinein in der römischen Provinz „Niedergermanien“ verehrt wurden, also in westlich des Rheins gelegenen Teilen der heutigen Niederlande und Deutschlands sowie in Teilen von Belgien.

Foto 7: Sophie Langes Standardwerk
Sophie Lange schreibt weiter (5): „Nach der Christianisierung lebten die heidnischen Matronen in der Volksfrömmigkeit weiter. Als die drei heiligen Bethen und die heiligen Schwestern Fides, Spes und Caritas - die legendären Töchter der heiligen Sophia - fanden sie Einlass in die Heiligenverehrung. In lokalem religiösem Brauchtum, zum Beispiel bei der Verehrung der heiligen Brigida, haben sich vorchristliche Vorstellungen erhalten. Die Kulte der Muttergöttinnen flossen in abgewandelter Form in die Verehrung der Gottesmutter ein. Die alten Matronen-Symbole wie Mond, Apfel und Schlange haben auch in Mariendarstellungen große Bedeutung.

Im frühen Christentum wurden die alten Kultplätze weiter von den Menschen besucht. So gab Papst Gregor der Große um 600 die Anweisung, die Heidentempel nicht zu zerstören sondern in christliche Kirchen umzuwandeln. So stehen manche Kirchen an den Kraftplätzen der Götter und Göttinnen. Auf dem Land haben Dorfkirchen, Kapellen, Bildstöcke und Wegekreuze die ehemaligen heidnischen Heiligtümer ersetzt, In der Geisterwelt leben die Matronen als drei unnahbare Juffern weiter. Als geheimnisvolle Lichtgestalten spuken sie an den alten Matronenplätzen, an Quellen und Flüssen.“

Foto 8: Sophie Langes Standardwerk. Rückseite.
Stand die Statuette am Hamelner Münster, in unmittelbarer Nähe der Weser gelegen, ursprünglich in einem „Heidentempel“ zu Ehren der Schutzgöttinnen, genannt Matronen? Wurde sie respektvoll von frühen Christen aufbewahrt und schließlich am Hamelner Münster angebracht? Ich halte das nicht nur für möglich, sondern für realistisch. Meiner Meinung nach ist die Statuette von Hameln nichts anderes als eine Matrone. So stark verwittert sie auch ist, sie weist wichtige Merkmale einer Matrone auf.

Fußnoten
1) Wörtliche Übersetzung: „Über Geschmäcker ist ein Nichzudisputierendes.“ Das kann man übersetzen mit „Über Geschmäcker kann/ soll man nicht disputieren/ streiten.“
2) Per Mail an Pastorin Grote Freitag, 19. September 2014 22:17.
3) Joachim Schween ist ein örtlicher Archäologe.
4) Lange, Sophie: „Wo Göttinnen das Land beschützten/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein“, 1. Auflage Sonsbeck 1994
5) „Matronis - Visionen zu einem regionalen Göttinnenkult“, 2001

Zu den Fotos
Fotos 1 und 2: Die „Matrone“ am Hamelner Münster ist leicht zu übersehen. Fotos Walter-Jörg Langbein   
Foto 3: Die „Matrone“ am Hamelner Münster ist wirklich sehr leicht zu übersehen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Maria Magdalena von Lübeck. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6: Die Statuette am Hamelner Münster. Fotos Walter-Jörg Langbein 
Foto 7: Sophie Langes Standardwerk. Vorderseite.
Foto 8: Sophie Langes Standardwerk. Rückseite.      


436 „Zwei Krypten und das Monster am Fluss“
Teil  436 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 27.05.2018


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Mittwoch, 16. Mai 2018

Serie Teil 3: Morbus Menière – Das Gleichgewicht und das Gehör

»Alleine mit Hilfe beider Ohren kann auch die Bewegung von Schallquellen mehr oder minder eindeutig verfolgt werden.« Quelle: Wikipedia 

Liebe Leserinnen und Leser.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Raum und hören ein Geräusch. Sie werden sicher automatisch den Laut und die Richtung aus der er kommt, zuordnen können. Diese Fähigkeit der Richtungswahrnehmung ist mir schon in den ersten Jahren als Morbus Menière Patientin abhanden gekommen. Sie glauben nicht, wie vielen Kindern und auch Erwachsenen ich eine Freude bereite, wenn ich orientierungslos meine Umgebung abscanne, um herauszufinden, wer da aus welcher Ecke meinen Namen ruft. Achten muss ich auch, mein schnurloses Telefon nicht zu verlegen, ich finde es so schnell nicht wieder, wenn ein Anruf kommt.  Besonders aufmerksam muss ich natürlich sein, wenn ich mich im Straßenverkehr bewege.

»Zum Gleichgewichtssinn gehört das Empfinden für oben und untenQuelle: Wikipedia 


Bild: ©Tuna von Blumenstein
Sie werden sicher wissen, wo oben und wo unten ist. Das Gleichgewichtsorgan orientiert sich an der Erdanziehungskraft. Taucher können auch Probleme bekommen, wenn durch irgendwelche Umstände kurzfristig diese Fähigkeit bei einem Tauchgang aussetzt. Dann gilt es, nicht in Panik zu geraten, gleichmäßig ein und aus zu atmen und sich an den aufsteigenden Luftblasen zu orientieren. Da, wo die Luftblasen hinwandern, ist oben.  

Der Mensch hat normalerweise zwei Innenohre, rechts und links, darum auch zwei Gleichgewichtsorgane. Bei mir sind beide Seiten in unterschiedlicher Schwere geschädigt. Da aber der Sehnerv an das Innenohr gekoppelt ist, kann ich sehen, wo oben und unten ist.

Bild: ©Tuna von Blumenstein
Bestimmte Bewegungsabläufe können von mir nicht präzise Koordiniert werden. Darum darf ich nicht Zweiradfahren (ob mit Motor oder ohne), Leitern und Treppen  muss ich meiden. Selbstverständlich habe ausprobiert, ob ich wirklich Schwierigkeiten dabei habe, oder ob das nur eine prophylaktische Empfehlung ist, ich lerne durch Versuch und Irrtum, bei den Treppen habe ich schmerzhaft gelernt.

Gerade Treppen finden sich in einer normalen Lebenssituation überall in irgendeiner Form. Wobei das Hochgehen kein Thema für mich darstellt. Die Stufen, die herunter führen, werden von mir sehr konzentriert und mit bedacht betreten. Treppengelände berücksichtige ich auch als festen Bestandteil einer solchen Aktion.  

menière desaster
Wie sich bei Bewegungen im Dunklen ein irritiertes Gleichgewicht bemerkbar macht, möchte ich Ihnen in meinem nächsten Beitrag berichten. 









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Sonntag, 13. Mai 2018

434 „Göttinnen – eingemauert und vergraben“

Teil  434 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein


Drei Göttinnen werden in den Stein gemeißelt. Die weibliche Dreifaltigkeit steht im Zentrum eines heidnischen Kults, der in einem Tempel zelebriert wird. Römische Truppen marschieren ein und übernehmen das uralte religiöse Zentrum. Sie bauen die Kultstätte um, erweitern sie und verehren die drei heidnischen Götter weiter. Die Römer werden schließlich von frühen Christen abgelöst. Aus den Steinen des römischen Tempels, dessen Vorgängerbau ursprünglich Heiden als Ort der Verehrung diente, errichten sie eine kleine christliche Kapelle. Das steinerne Bildnis der heidnischen Dreifaltigkeit bleibt erhalten. 

Foto 1: Die Helenakapelle von Vilvenich.

Als die christliche Kapelle baufällig wird, entsteht eine „neue“ Kapelle. Die steinerne weibliche Trinität genießt nach wie vor Respekt. Man wagt nicht, sie zu zerstören. Die Christen bauen sie in ihre Kapelle ein. Besser gesagt: Sie verstecken sie im Mauerwerk. In einem opulenten Kostümfilm könnte so ein weiter Bogen zwischen uraltem Heidentum und christlicher Gegenwart gespannt werden.

Die mysteriöse Kapelle hat es einst wirklich gegeben. Sie gehörte zur Gemeinde Inden im Kreis Düren, Nordrhein-Westfalen. Doch die „St.-Helena-Kapelle“ existiert nur noch auf Fotos. Das altehrwürde kleine Gotteshaus wurde im Jahre 2010 abgebrochen. Es musste dem „Braunkohlen-Tagebau Inden“ weichen.

Die „St. Helena-Kapelle“ wurde urkundlich erstmals schon 1318 erwähnt. Und sie hatte ein Geheimnis, das sehr zum Ärger der Geistlichkeit nicht in Vergessenheit geriet. In das Mauerwerk der Kapelle hatte man einen gallo-römischen Weihealtar eingemauert, und zwar so, dass man ihn nicht mehr erkennen konnte. Man hat ihn mit der Rückseite nach außen ins Mauerwerk eingesetzt. Eingeweihte freilich wussten genau, wo der heidnische Altar steckte.

Foto 2: Altar der Aufanischen Matronen
Diesen Eingeweihten war auch bereits 1995 bekannt, dass ein Abbruch der Kapelle bevorstand. Sie befürchteten, dass der „Matronenstein“ dabei zerstört werden und spurlos verschwinden würde. Sie versuchten auf „offiziellem“ Wege den alten „Heidenstein“ zu retten. Ihre Eingaben wurden offenbar nicht beachtet. Niemandem schien daran gelegen zu sein, das uralte sakrale Kunstwerk zu retten. In einer „Nacht und Nebelaktion“ brachen schließlich Unbekannte das uralte steinerne Bildnis der drei Matronen-Göttinnen aus der Kapellen-Mauer, deponierten es sorgsam auf Stroh und informierten das „Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege“. Der einst heilige Stein der drei Muttergöttinnen wanderte in ein Depot in Nideggen-Wollersheim.

Die steinerne „St.-Helena-Kapelle“ hatte einen Vorgängerbau, ein bescheidenes kleines Fachwerkgebäude. „Die ursprüngliche Kapelle blieb als nördliches Seitenschiff bestehen.“, schreibt die sachkundige Sophie Lange in ihrem wichtigen Büchlein „Wo Göttinnen des Land beschützen/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein“ (1).

Und die Erbauer der ursprünglichen Kapelle, so weiß Jakob Gerhards zu berichten (2), griffen auf noch älteres „Baumaterial“ zurück: „Außen wie innen enthält ihr Mauerwerk römische Votivsteine, die der Verehrung der göttlichen Mütter dienten.“ Und die Römer hatten bei ihrem Bau auf ein noch älteres Heiligtum zurück gegriffen. Sophie Lange (3): „In Lövenich erzählt die Volksüberlieferung, daß die ost-west-ausgerichtete Kirche ursprünglich eine Heidentempel war. Die ‚heidnische Cultusstätte‘ sei bei der Christianisierung in ein christliches Gotteshaus umgewandelt worden.“

Foto 3: Büste einer Matrone
Welche Gottheiten mögen ursprünglich verehrt worden sein? Wie lauteten ihre Namen? Im dritten Jahrhundert wurden sie zu einer römischen Göttin, mit einiger Wahrscheinlichkeit zur „Jungfrau Agnes“. Fakt ist: In der Region zwischen Eifel und Rhein wurden drei Matronen verehrt, Überbleibsel aus heidnischen Zeiten, als man weibliche Trinitäten anbetete, und die sind im christlichen Gewand bis heute als die „heiligen drei Bethen“ bekannt. Interessant ist, dass so ein „Matronenstein“ noch Ende des 20. Jahrhunderts aus einer Kapellenmauer herausgebrochen wurde.

Ein Matronenstein wurde in die „St.-Helena-Kapelle“ eingemauert. Ein weiterer Matronenstein wurde unter dem Bonner Münster vergraben, zusammen mit 50 weiteren Weihesteinen (4). 

Wie viele Darstellungen von uralten weiblichen Göttinnen-Triaden mögen in dicken Kirchenmauern eingemauert worden sein? Wie viele wurden wohl unter christlichen Sakralbauten vergraben? Es muss einst zigtausende von Altarsteinen mit den drei Muttergöttinnen gegeben haben. Es wurde erst ein Bruchteil wieder gefunden (5).

Eine typische Matrone stammt aus Marnheim (Ortsgemeinde im Donnersbergkreis, Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden, Rheinland-Pfalz). Sie hat ein besonders typisches Merkmal, das die Matronen-Muttergottheiten ausmacht: einen unnatürlich großen Kopf. Und just so ein Haupt hat auch die steinerne Staue, die an der Rückseite des Münsters von Hameln angebracht ist. Die Statuette weist deutliche, starke Spuren der Verwitterung auf. Seit vielen Jahren versuche ich in Hameln Näheres über diese seltsame Figur herauszufinden, bislang vergeblich.

Kurz und bündig erklärt „wikipedia“ (6): „Matronen, Matronae (von lateinisch matrona ‚Familienmutter, vornehme Dame‘), Matres (auch Deae Matres) oder Matrae (von lateinisch mater ‚Mutter‘) sind nur in der Mehrzahl, überwiegend in Dreizahl auftretende Muttergottheiten der römischen, germanischen und keltischen Religion. Sie sind einzig durch Inschriften und bildliche Darstellungen bekannt. … Dargestellt werden sie in Form einer sitzenden Dreiergruppe auf Votivsteinen und Altären vor allem in den Nordwest- und Nordost-Provinzen des Römischen Reiches sowie in Gallien, Nordspanien und Norditalien.“

Foto 4: Die Matrone von Hameln
Es ist scheinbar ein Paradox: Einerseits wurde eine Vielzahl von Steinen mi Abbildungen der „Heiligen Matronen“ gefunden. Andererseits aber beschreibt kein einziger römischer Historiker aus der Glanzzeit der Matronen diese verehrten Frauen. Ein intensives Studium der Weihesteine mit Matronen-Darstellungen verdeutlicht, dass es in erster Linie einfache Soldaten, vereinzelt auch Offiziere niederen Rangs waren, die den Muttergöttinnen huldigten. Offensichtlich waren es die „einfachen Leute“, die vom Kult der drei Matronen besonders angesprochen wurden. Somit waren sie für das junge Christentum eine ernste Konkurrenz. Wurden deshalb schon recht früh Kultorte der „drei Matronen“ übernommen wurden? Wurden deshalb die Tempel der drei heiligen Frauen durch Kapellen und Kirchen ersetzt?

Wo mögen heute noch Matronen zu finden sein? Wie viele mögen an Kirchenmauern – wie in Hameln – angebracht worden sein? Wie viele mögen in der Öffentlichkeit unzugänglichen Krypten verstauben? Wie viele dieser altehrwürdigen Göttinnen hat man in Kirchenwänden eingemauert, wie viele unter Kapellen und Kirchen begraben?

Fußnoten
Foto 5: Muttergöttin von Hameln
1) Lange, Sophie: „Wo Göttinnen des Land beschützen/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel
und Rhein“, 1. Auflage, Sonsbeck 1994, Seite 104
2) Gerhards, Jakob: Zur „Matronenverehrung im Kreis Düren“, erschienen in dem „Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte“, Band14, 1974, S.101–110.
3) Lange, Sophie: „Wo Göttinnen des Land beschützen/ Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein“, 1. Auflage, Sonsbeck 1994, Seite 104
4) Derungs, Kurt und Früh, Sigrid: „Der Kult der drei Heiligen Frauen/ Mythen, 
     Märchen und Orte der Heilkraft“, 3. Auflage, Grenchen 2014, S. 21
5) Siehe auch Philippson, Ernst Alfred: „Der germanische Mütter- und Matronenkult am Niederrhein“, erschienen in „Germanic Review“, Band19, 1944, S.81–142.
6) Wikipedia-Stichwort „Matronen“, Stand Ostern 2018

Foto 6: Verfasser Langbein
Zu den Fotos
Foto 1: Die Helenakapelle von Vilvenich. Foto wikimedia commons/ Karl Heinz Meurer
Foto 2: Altar der Aufanischen Matronen, gefunden unter dem Bonner Münster wikimedia commons Foto Hans Weingartz
Foto 3: Büste einer Matrone aus Marnheim (3. Jahrhundert). Foto: wikimedia commons/ Dontworry
Fotos 4 und 5: Die Matrone vom Hamelner Münster. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Verfasser Langbein vor dem Hamelner Münster. Foto: Japanischer Tourist (links!)


435 „Die heidnische Göttin am Münster?“
Teil  435 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 20.05.2018


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Samstag, 12. Mai 2018

Mammographie Screening Programm

Wie der Nannystaat für Angst und Schrecken sorgt


Ein Kommentar von Ursula Prem

Wem das immer stärker zutage tretende Nannyverhalten unseres Staates auf den Zeiger geht, der stößt heute nicht selten auf Verständnislosigkeit. Sind Schockfotos auf Zigarettenschachteln, Rauchverbote in Kneipen und EU-Vorschriften bezüglich der Zubereitung von Pommes (möglichst hell und labbrig müssen sie sein) nicht großartige Beiträge, um allen Menschen zu einer besseren Gesundheit zu verhelfen? Da lässt man sich als erwachsener Mensch doch gerne von Vater Staat (oder heißt es heute schon Big Brother?) an der Hand nehmen und »sanft« auf den richtigen Weg stupsen. Ja, man setzt tatsächlich offiziell auf »Stupsen«, auch wenn man dies lieber in hippes Englisch verpackt: Nudging.

Lässt man die erkennbar durch Orwell inspirierten Euphemismen weg, so erkennt man, dass es sich um ein immer dichter werdendes Gestrüpp aus staatlichen Bevormundungsmethoden handelt. »Ganz sanft« sollen sich die Menschen in diesen Schlingpflanzen verfangen, so lange, bis es kein Entrinnen mehr gibt, sprich: jede auch noch so kleine tagtägliche Entscheidung schon vorab von kompetenter Stelle getroffen wurde.

Richtig ätzend wird es, wenn staatliche oder halbstaatliche Kompetenzfetischisten ganz legal Zugriff auf die bei der Gemeinde hinterlegten Daten ihrer Bürger nehmen und beginnen, sie mit Nudgingbriefchen belästigen. Der Spaß an der neckischen Stupserei hört aber endgültig auf, wenn derartige Zumutungen in einem Umschlag daherkommen, der Familienangehörige in Angst und Schrecken versetzt.

Konkret erlebt habe ich das Mitte März, als ich eines Tages nach Hause kam und meine Familie ziemlich aufgelöst vorfand. Es sei ein Schreiben für mich gekommen, druckste man herum. Und das würde doch hoffentlich nichts Schlimmes bedeuten? - Auf dem Umschlag des fraglichen, ziemlich dick und amtlich wirkenden Briefs prangte breit und fett ein Logo mit der Aufschrift »Mammographie Screening Programm«. Die im Raum stehende Frage, ob ich wohl etwas verschwiegen hätte, konnte ich dann zum Glück schnell aufklären, was für Tränen der Erleichterung sorgte.


Zeit für eine Datenübermittlungssperre


Im Umschlag befand sich neben einer Broschüre ein Schreiben mit dem Betreff »Früherkennung von Brustkrebs: Angebot einer Untersuchung im Rahmen des Mammographie-Screening-Programms«. Es teilte mir auch sogleich eine persönliche Screening-ID zu, die zur Untersuchung mitzubringen sei. Auf meine Nachfrage per E-Mail, wie ich denn zu solch einem Schreiben käme, erhielt ich eine lange, nahezu unformatierte Bleiwüste offenbarer Rechtsgrundlagen als Antwort. Ein weiterer Punkt also, an dem der Staat beschlossen hat, sich in die Lebensführung seiner Bürger einzumischen. Offenbar habe ich nicht wunschgemäß reagiert, denn heute, nicht mal zwei Monate später, erhielt ich die identische Post gleich nochmals.

Dass der Staat immer mehr zum Kindermädchen mutiert und sich seinen Bürgern nach der Schmeißfliegenmethode aufdrängt, daran haben wir uns bereits alle (viel zu sehr) gewöhnt. Aber: Briefe zu verschicken, deren Umschlag Angehörige in Angst und Schrecken versetzt, damit hört der Spaß endgültig auf! Höchste Zeit also für mich, eine Datenübermittlungssperre bei der Gemeinde einrichten zu lassen, um der Übergriffigkeit eine Grenze zu setzen.



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Freitag, 11. Mai 2018

Serie Teil 2: Morbus Menière - Drehschwindel

Foto: Tuna von Blumenstein
Morbus Menière ist eine sogenannte Ausschlussdiagnose, d.h. es müssen viele andere Ursachen als Verursacher ausgeschlossen werden, bevor die Diagnose als solche gestellt werden kann.
Es gibt auch nicht das eindeutige Krankheitsbild, denn die Anfälle können durchaus unterschiedlich verlaufen. Manche Betroffene haben vielleicht nur ein Ereignis in ihrem Leben, andere werden ihr Leben lang gebeutelt. Und jeder Betroffene reagiert in der Folge anders.

Bei mir begann ein Anfall mit dem Gefühl, als hätte ich Watte im Ohr, begleitet von einem leichten Unwohlsein. Dann setzte ein Dröhnen im Ohr ein, das selbst den Tinnitus übertönte, es folge ein starker Schwindel. Das weitere unangenehme an dieser Situation ist, dass durch diesen Schwindel scheinbar das Gehirn die Botschaft »Vergiftung« gemeldet bekommt. So musste ich stark erbrechen, während dieser Anfälle.

In früheren Zeiten bin ich sehr oft auf den Nordseeinseln gewesen, habe Überfahrten auch bei rauer See erlebt und auch, dass Mitreisende über Deck wankten, mit Tüten ausgestattet. Selbst litt ich nie unter den Symptomen der Seekrankheit. Womit ich einen Menière Anfall vergleichen könnte wäre der Effekt, den vielleicht auch der ein oder andere erlebt hat, wenn »Eins der dreißig Bierchen wohl schlecht war«. Ein Zustand, da werden Sie mir, liebe Leserinnen und Leser sicher Recht geben, noch nicht einmal im Suff zu ertragen ist.

Ein Mensch, der unter Seekrankheit, Kinetose, leidet, wird auf Seereisen verzichten, wer die beschrieben Probleme beim Alkoholkonsum hat, sollte mit Alkohol vorsichtiger umgehen, unter Umständen beides meiden.

Ein MM Patient fühlt sich ausgeliefert, denn die Anfälle kommen aus dem Nichts und verschwinden im Nichts. Es ist eine starke physische und psychische Belastung, als Menière Patient quasi einer Laune der Natur ausgesetzt zu sein. Morbus Menière ist unberechenbar. Neben dem Tinitus, der bei mir sehr früh einsetzte, dem Hörverlust und natürlich den psychischen Problemen, die eine solche Erkrankung mit sich bringt, würde ich als größtes Folgeproblem die Irritation meines Gleichgewichtes betrachten. Die Behandlung mit der ohrtoxischen Substanz Gentamycin hat einen erheblichen Schaden an dem betroffenen Innenohr angerichtet. Das war mir aber schon vor dem Eingriff klar und letztendlich war der Bereich durch die Anfälle auch schon erheblich vorgeschädigt. Zwar habe ich in der Folgezeit hervorragend kompensieren können, wie mir bestätigt wurde, Schwierigkeiten bereiten mir trotzdem viele Dinge des täglichen Ablaufs, darüber berichte ich in den nächsten Beiträgen.

Vielen Dank für Ihr Interesse



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Dienstag, 8. Mai 2018

Serie Teil 1: Morbus Menière - Der Feind in meinem Innenohr

Was ist das für eine mysteriöse Erkrankung des Innenohres?

Morbus Menière, ist nach dem französischen Arzt Prosper Menière benannt, der diese Krankheit nicht erfunden hat, aber sie erstmals 1861 als selbstständiges Krankheitsbild beschrieb. Menière war übrigens ein Freund der Künste und mit den Schriftstellern Victor Hugo und Honoré de Balzac befreundet, aber das nur am Rande.

Bevor Jean-Martin Charcot, ein französischer Neurologe, 1874 diese wissenschaftliche Beschreibung als »Menière'sche Erkrankung« bekannt machte, wurde das Krankheitsbild als eine Form von Epilepsie bewertet. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, der Meinung sind, dass Julius Caesar, Vincent van Gogh oder Martin Luther Epileptiker waren, dann revidieren Sie bitte Ihre Meinung. Diese Männer litten, so wie ich auch, an Morbus Menière. Wobei ja »Epilepsie« »der Anfall« oder »der Übergriff« bedeutet, das Krankheitsbild auch als »Fallsucht« beschrieben wurde. Auch ich als Betroffene hatte das starke Bedürfnis, mich hinlegen zu wollen und zu müssen, wenn mich ein Menière Anfall wie ein feindlicher Angriff traf. Darum wundert es mich nicht, dass MM dieser Erkrankung zugeordnet wurde.


>> Buchtipp: Sylvia B.: menière desaster – der Feind in meinem Innenohr (amazon)


Wenn Sie nach Morbus Menière im Internet suchen, wird Ihnen immer wieder dieser Satz begegnen: »Leider sind die genaueren Hintergründe dieser Erkrankung immer noch nicht bekannt, dementsprechend ist es schwierig, eine gezielte Behandlung dieser Erkrankung durchzuführen.«

Ausguss eines menschlichen Labyrinths
Quelle: Wikipedia, GNU-Lizenz
Warum ist es so schwierig, diese Krankheit zu diagnostizieren und, was noch schlimmer ist, sie nicht heilen zu können? Betrachten wir uns die folgenden Bilder und überlegen uns, wie sicher das Innenohr eingebettet ist, kann das eine Erklärung sein.
Es wird ein Überdruck in der Gehörschnecke vermutet, der diese Anfälle auslösen soll. Betrachten wir uns das Bild »Ausguss eines menschlichen Labyrinths« stellen wir eine Breite von ca. 1,6 cm fest.
Schnitt (Schematisch) durch
die Cochlea (Hörschnecke) des Innenohres


Schnitt (schematisch) durch
In der Gehörschnecke, im Verhältnis dürfte diese vielleicht 5mm groß sein, Abb. links, entdecken Sie die Reissner Membran. Man vermutet, dass ein zu hoher Druck auf die Reissner-Membran zum Einreißen dieser Membran führen kann und so einen Menière'schen Anfall auslöst.


Stellen Sie sich vor, ein Tropfen Flüssigkeit, vielleicht nicht größer, als eine nicht geweinte Träne, die einen Mann wie Julius Caesar in die Knie zwang, Martin Luther denken ließ, er sei vom Teufel besessen und Vincent van Gogh in den Selbstmord trieb.

Aus meiner subjektiven Sicht der Dinge möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, diese Erkrankung in meinen nächsten Beiträgen näher bringen und würde mich freuen, wenn ich Ihr Interesse geweckt habe.

Sonntag, 6. Mai 2018

433 „War Maria Magdalena 'der' Lieblingsjünger Jesu?“

Teil  433 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                        
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Das Abendmahl von Eugène Burnand.
Das Gemälde zeigt Jesus im Kreis seiner Jünger. Jesus hat den Blick gen Himmel gerichtet, er scheint zu beten. Elf Jünger sehen wir. Sie stehen, wie Jesus, hinter einem leeren Tisch. Sechs Jünger machen wir zur Rechten Jesu aus, fünf zu seiner Linken. Entstanden ist das Gemälde um 1900. Es stammt von Eugène Burnand, einem Schweizer Maler (1). Ein Jünger fehlt also. Wenn wir im Evangelium, das nach Johannes benannt wurde, nachlesen, dann können wir die dargestellte Szene zeitlich recht genau einordnen.

Jesus erschreckt seine Jünger, also seine engsten Vertrauten, mit einer Botschaft, die elf von ihnen erschüttert haben muss (2): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ Den Jüngern „wurde bange“, sie „sahen sich untereinander an“ (3). Wen Jesus wohl meinte? Der namentlich nicht genannte „Lieblingsjünger“ wird von Petrus beauftragt zu fragen, wer denn der Verräter sei (4): „Da lehnte der sich (5) an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's?“

Foto 2
Jesus freilich nennt keinen Namen (6): „Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.“ Somit ist klar: Judas ist der Verräter. Jesus treibt Judas zur Eile an (7): „Was du tust, das tue bald!“ Und Judas verlässt die kleine Gesellschaft (8): „Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ Das Gemälde zeigt also Jesus und nur elf Jünger. Judas ist gerade gegangen. 

Noch ist ein Ersatzjünger nicht gewählt. Der Jünger, den Jesus besonders lieb hatte, wird nicht namentlich genannt. Er soll besonders jung gewesen sein. Im Gemälde sehen wir zwei besonders jung wirkende, sprich bartlose Jünger. Der eine steht, vom Betrachter aus, ganz rechts außen im Bild (Foto 2), den anderen sehen wir als zweiten von links außen im Bild (Foto 3). An seinem Kinn: so etwas wie ein Fleck. Ist es eine Beschädigung des Bildes? Oder wollte der Maler dem jugendlichen Jünger noch einen Bart verpassen?

Foto 3
Betrachten wir das Bild genauer, dann fällt uns eine dritte bartlose Person auf. Sie steht im Bild rechts von Jesus, unmittelbar neben Jesus, etwas nach hinten versetzt. Diese Person bedeckt ihr Gesicht mit einer Hand (Fotos 4 und 5). Wenn wir unvoreingenommen sind, müssen wir zugeben: Da steht eine Frau, die weinend ihr Gesicht mit einer Hand bedeckt. Meine Vermutung: Es ist Maria Magdalena. Das wirft ein Problem auf: Wenn wir die Person neben Jesus als Maria Magdalena identifizieren, dann fehlt auf dem Bild nicht ein männlicher Jünger, nämlich Judas. Dann sind nur neun männliche Jünger zu sehen und eine Frau.

Eine „ketzerische“ Lösung des Problems: Maria Magdalena war Jüngerin und gehörte zu den zwölf engsten Vertrauten Jesu. Der vermeintliche Lieblingsjünger war nicht Johannes, sondern eine Frau, nämlich Maria Magdalena!

Im Dezember des Jahres 1945 waren einige ägyptische Bauern etwa elf Kilometer nordöstlich von Nag Hammadi am Fuß des „Jabal al Tarif“-Felshangs unterwegs. Sie suchten Dünger für ihre Felder. Zufällig stießen sie auf einen geheimnisvollen Fund: unter einem Felsbrocken kam ein etwa ein Meter hoher Krug aus rötlichem Ton zum Vorschein. Was mochte er enthalten? Vielleicht einen kostbaren Schatz? Oder einen bösen Geist? Die Hoffnung auf Gold war größer als die Angst vor möglichen Gefahren, also zerschlug man den Krug. Die Enttäuschung war mehr als groß, als nur dreizehn in Leder gebundene Kodizes zum Vorschein kamen. Glücklichen Zufällen ist es zu verdanken, dass zwölf der antiken Kodizes erhalten blieben. Leider wurde „Kodex XII“ zum Großteil als Schürmaterial verwendet.

Foto 4: Weinende Frau... rechts von Jesus.

Zunächst wurden die kostbaren Dokumente unter mehreren Bauern verteilt. Weil man sie aber für wertlos hielt, bekam sie Muhammed Ali. Der vertraute sie Abd al Masih, einem koptischen Priester, an. Dessen Schwager Raghib Andrawus zeigte sie in Kairo dem Arzt George Sobhi, der sich sofort an das „Amt für Altertümer“ wandte. Eine „Aufwandentschädigung“ in Höhe von 300 Pfund wurde gezahlt, die alten Texte wurden zu Besitz des ägyptischen Staates. Im „Koptischen Museum“ von Kairo fanden sie am 4. Oktober 1946 ein sicheres „Zuhause“.
   
Foto 5
Mancher Theologe hat sich inzwischen wohl gewünscht, die Kodizes wären gar nicht gefunden worden. Denn als die Texte aus dem Koptischen übersetzt wurden, stieß man auf einige unliebsame Informationen aus dem Leben Jesu.

Im „Philippus-Evangelium“ heißt es, zitiert nach seriöser Quelle (9): „Die Sophia ... ist die Mutter der Engel und die Gefährtin des Soter (Heilands/ Erlösers). Der Soter liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger und er küsste sie oftmals auf ihren Mund. Die übrigen Jünger gingen zu ihnen, um Forderungen zu stellen. Sie sagten zu ihm: ‚Weswegen liebst du sie mehr als uns alle?‘“
   
Weltbekannt wurden diese Zeilen durch Dan Brown, der sie in seinem Weltbestseller „Sakrileg“ zitierte. Da es an der Echtheit des Textes keinen Zweifel geben konnte, spielte man seine Bedeutung herunter. Derlei Aussagen seien für eine seriöse Jesusforschung belanglos, weil sie erst Jahrhunderte nach den Ereignissen im „Heiligen Land“ formuliert worden seien. Typisch für die Ablehnung der unbequemen Textstelle durch Brown-Kritiker ist das bayerische „Sonntagsblatt“ (10). Demnach stammt das „Philippus-Evangelium“ angeblich „aus dem vierten Jahrhundert“.  Als zeitnahes Dokument könnte man es dann wirklich nicht mehr bezeichnen. Wer es auch verfasst haben mag, ein Zeitzeuge kann es im vierten Jahrhundert nicht gewesen sein. In Wirklichkeit ist das „Philippus-Evangelium“ aber wesentlich älter. Wilhelm Schneemelcher: „Isenbergs Datierung auf die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts dürfte doch um ein knappes Jahrhundert zu spät liegen. Die ältere und vielgeäußerte Ansicht, die das Philippus-Evangelium noch im zweiten Jahrhundert abgefasst sein lässt, dürfte erheblich wahrscheinlicher sein.“

Foto 6: Das Abendmahl, gemalt von Philippe de Champaigne

Wenn man  den erotischen Aspekt der kurzen Passage einmal unberücksichtigt lässt, ergibt sich eine ganz konkrete Aussage: „ Der Soter (der Messias) liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger.“ Das „Philippus-Evangelium“ benennt eindeutig und klar, was das „Evangelium nach Johannes“ nur andeutet oder umschreibt: der anonyme „Jünger, den Jesus liebte“ bekommt einen Namen: Es ist Maria Magdalena! Jesu Lieblingsjünger war also kein Mann, sondern eine Frau. Diese klare Aussage ist wirklich höchst explosiv: Am Ende des „Evangeliums nach Johannes“ heißt es, der Lieblingsjünger Jesu habe das vierte Evangelium verfasst. Zieht man das Philippus-Evangelium hinzu, dann wird aus dem anonymen Verfasser nicht Johannes, sondern eine Frau, nämlich Maria Magdalena.

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Maria Magdalena als engste Vertraute, als Jüngerin, die Jesu allen anderen vorzog – ein auch heute noch ketzerischer Gedanke? In der sakralen Malerei von Eugène Burnand bis Philippe de Champaigne finden sich immer wieder recht feminine Jünger an der Seite Jesu. Der Maler Philippe de Champaigne (*1602 in Brüssel; † 1674 in Paris), Vertreter des französischen Barock, setzte in seinem Bildnis vom Abendmahl auch eine „Jüngerin“ neben Jesus. Es lohnt sich, mit offenen Augen und unvoreingenommen Kapellen und Kirchen zu besuchen. Man entdeckt immer wieder Mysteriöses.

Literaturempfehlung

Im voranstehenden Beitrag „War Maria Magdalena der Lieblingsjünger Jesu?“ konnte ich das spannende Thema nur anreißen. Viele Jahre habe ich mich mit provokanten Thesen über Jesus und Maria Magdalena beschäftigt und einige Bücher dazu  geschrieben. Wer sich näher mit meinen Gedanken auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich meine Werke „Maria Magdalena/ Die Wahrheit über die Geliebte Jesu“, „Als Eva noch eine Göttin war“ und „Das verlorene Symbol und die Heiligen Frauen“.


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Fußnoten
1) Burnand (* 30. August 1850 in Moudon; † 4. Februar 1921 in Paris) studierte 1868–1871 Architektur in Zürich, dann Malerei in Genf und Paris und 1876–1877 in Rom. Von ihm stammt eine Darstellung der Bergpredigt auf den Chorfenstern der reformierten Kirche von Herzogenbuchsee. Herzogenbuchsee (berndeutsch Herzogebuchsi, von den Einheimischen Buchsi genannt) ist eine politische Gemeinde im Verwaltungskreis Oberaargau des Kantons Bern in der Schweiz. Zum 1. Januar 2008 wurde die Fusion mit der Gemeinde Oberönz vollzogen. Die neue Gemeinde trägt weiterhin den Namen Herzogenbuchsee. Zwischen 1907 und 1912 wurden mehrere seiner Zeichnungen für die Banknoten der Schweizerischen Nationalbank verwendet.

Das Abendmahl-Gemälde von Burnand erschien zusammen mit weiteren Werken des Künstlers in  „Zehn farbige Kunstblätter“, Verlag für Volkskunst, Stuttgart 1900.

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2) Evangelium nach Johannes Kapitel 13, Vers 21
3) ebenda, Vers 22
4) ebenda, Verse 23 und 24
5) Also der „Lieblingsjünger“
6) Evangelium nach Johannes Kapitel 13, Vers 26
7) ebenda, Vers 27
8) ebenda, Vers 30
9) Schneemelcher, Wilhelm: „Neutestamentliche Apokryphen“, Band I, Tübingen 1990, S.161
10) Ausgabe vom 2.4.2006


Zu den Fotos
Foto 1: Das Abendmahl von Eugène Burnand. Foto Wikimedia Commons
Foto 2: Einer der jungen Jünger, rechts außen. Foto Wikimedia Commons
Foto 3: Der andere junge Jünger, links. Foto Wikimedia Commons
Foto 4: Weinende Frau, rechts von Jesus. Foto Wikimedia Commons
Foto 5: Die weinende Jüngerin. Foto Wikimedia Commons
Foto 6: Das Abendmahl, gemalt von Philippe de Champaigne. Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: „Maria Magdalena/ Die Wahrheit über die Geliebte Jesu“
Foto 8:  „Als Eva noch eine Göttin war“
Foto 9: „Das verlorene Symbol und die Heiligen Frauen“

434 „Göttinnen - eingemauert und vergraben“
Teil  434 der Serie
„Monstermauern, Mumien und Mysterien“                        
von Walter-Jörg Langbein,                      
erscheint am 13.05.2018


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