Sonntag, 29. November 2015

306 »Das Medaillon und eine Göttin«

Teil 306 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: »Geboren« vor 100 Millionen Jahren...

Vor 150 Millionen Jahren: Wo heute der Hermann aus Metall sein Schwert gen Himmel reckt… wogt ein Meer. Am Grund sammeln sich seit Ewigkeiten Sedimente ab, die sich langsam verdichten. Im Raum Horn-Detmold verläuft ungefähr die Küste…. vor 150 Millionen Jahren.

Vor 100 Millionen Jahren haben sich die Ablagerungen in Sandstein verwandelt. Fachbezeichnung heute: Osningsandstein, »Geburtszeit« Erdzeitalter der Unterkeide. Die sandigen Ablagerungen deuten auf Küstennähe hin.

Vor 70 Millionen Jahren: Durch Bewegungen der Erdkruste wird der ursprünglich flach am Boden liegende Sandstein von der Horizontalen in die Senkrechte geschoben. Gewaltige tektonische Kräfte sind am Werk.  Der Sandstein wird nicht nur aufgestellt, das Gestein wird auch gebrochen und zerklüftet.

Foto 2: Drachenszene...  Foto 3: Drachenkopf

Vor 70 Millionen Jahren werden die nun senkrecht stehenden Steinmassen durch Wasser und Wind freigelegt. Die Externsteine entstehen, die Kräfte der Natur formen sie zu Steinsäulen.  Sie ragen bis zu vierzig Meter hoch aus dem Untergrund. Wasser dringt in die Steine ein, gefriert im Winter, sprengt mit Urgewalt Steinpartien unterschiedlicher Größe ab.

So entsteht vor rund 70 000 000 Jahren das bizarre Felsgebilde, das heute Millionen von Touristen anlockt…. Die Externsteine. So formen Naturgewalten ein steinernes Denkmal, das seit Jahrtausenden Menschen anlockt.

Vor rund 13 000 Jahren sind die Externsteine Ziel von Jägern und Sammlern. Sie benutzen den Bogen als Jagdwaffe und primitives Werkzeug aus Feuerstein. Ihre Steingeräte werden im 20. Jahrhundert bei Ausgrabungen bei den Externsteinen entdeckt. Feste Behausungen kennen diese Menschen der Ahrensburger Kultur noch nicht. Sie nutzen natürliche »Überdachungen« –  Felsüberhänge – als Wetterschutz. So finden sie bei den Externsteinen Unterschlupf, eine gewisse Sicherheit vor Unwettern. Zu fragen ist: Waren die Externsteine für die Steinzeitmenschen auch so etwas wie ein »Heiligtum«? Gab es vor 13 000 Jahren schon so etwas wie natürliche Höhlen in den Externsteinen, die später – wann? – zu einem Kammersystem erweitert wurden? Umstritten ist bis heute, wann diese Kammern genutzt wurden.

Fotos 4 und 5: Das Kammersystem im Externstein...

Wann wurden erstmals in der Kuppelkammer – in der Skizze gelb markiert – Feuer entfacht und warum? Geschah dies im 1. Jahrtausend vor Christus oder später? Wurden Tote verbrannt? Oder hatten die ersten Feuer profanere Zwecke? Brachte man den Stein durch massive Befeuerung förmlich zum »Glühen«, um ihn dann mit Wasser abzuschrecken? Erweiterte man auf diese Weise die Kuppelgrotte? Durch den Kälteschock platzt heißes Gestein ab…

Welchem Zweck diente das »Blutloch« –  in der Skizze rot markiert? Diente es der Luftzufuhr für die Feuer in der Kuppelkammer? Entstand das mysteriöse Relief des »Wächters« – 2 im Skizzenplan – in vorchristlichen Zeiten oder erst später? Hatte das rätselhafte »Kreuzabnahmerelief« – 4 im Skizzenplan – einen vorchristlichen Vorläufer, der umgearbeitet wurde?

Foto 6: Das Kreuzabnahmerelief mit Autor Langbein

Unbestreitbar aber sind das Kammersystem (inklusive Kuppelkammer!), das Wächterrelief und das Kreuzabnahmerelief künstlich, von Menschenhand geschaffen. Schriftliche Quellen gibt es nicht. In alten Märchen wird immer wieder eine Verbindung zwischen Externsteinen und dem Teufel hergestellt. Meiner Überzeugung nach ist das ein deutlicher Hinweis auf heidnisches Brauchtum, das von christlichen Missionaren »verteufelt« wurde.

Heidnischen Ursprungs ist auch ganz ohne Zweifel das Medaillon, das vor 1822 an einem der Externsteine gefunden wurde. Es zeigt eine weibliche Gestalt, die fast vollkommen von einer sehr schmalen Mondsichel eingerahmt wird. Am Kopf trägt sie eine weitere, kleine Sichel. Die Frau – Göttin oder Priesterin – zeigt ihre geöffneten Hände. Betet sie? Segnet sie? Die kleine  Mondsichel am Kopf könnte auf die Venus hindeuten. Mond… Venus… Göttin oder Priesterin auf einem Medaillon… deutlicher können Hinweise auf einen vorchristlichen Kult kaum ausfallen! Die kleine Venussichel befindet sich hinter dem Haupt der mysteriösen weiblichen Gestalt. Es handelt sich also auf keinen Fall um auf dem Haupt sitzende Hörner!

Fotos 7, 8 und 9: Das Medaillon mit der »Göttin«

Leider konnte ich zum geheimnisvollen Bildnis nichts Näheres in Erfahrung bringen, außer dass es vor 1822 an einem der Externsteine gefunden wurde. Das Medaillon wird auch als »Kupferplakette« bezeichnet. Aus christlicher Sicht könnte man das Medaillon als Anspielung auf die Offenbarung des Johannes (1) verstehen.

In der »Elberfelder« Übersetzung lesen wir: »Und ein großes Zeichen erschien im Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen.« Die »Neue Genfer Übersetzung« formuliert leicht abgewandelt: »Nun war am Himmel etwas Außergewöhnliches und Bedeutungsvolles zu sehen: eine Frau, die mit der Sonne bekleidet war; unter ihren Füßen war der Mond, und auf dem Kopf trug sie eine Krone aus zwölf Sternen.«

Die »Frau« ist auf dem Medaillon ebenso zu sehen wie »der Mond zu ihren Füßen«, Sonne und Sterne freilich sucht man vergeblich. Interessant ist, dass in der Offenbarung des Johannes auf das Erscheinen eines Drachens hingewiesen wird (2):

»Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind fräße.«

Foto 10: Mondsichel, Venus und »Göttin«

Von der Theologie wird diese Beschreibung gern auf Maria, die Gottes-Mutter, bezogen, deren Kind – Jesus – vom Teufel bedroht werden würde. Der Drache findet sich auf dem Relief der Externsteine, unter der Darstellung der »Kreuzabnahme«. Aber ist es wirklich der Drache im christlichen Sinne? Oder interpretieren wir ein heidnisches Bild um? Wir können ein Buch lesen und die Botschaft der Buchstaben, Worte und Sätze erschließen sich uns. Bilder aber bieten sehr viel Platz für Spekulationen. Bildliche Darstellungen christlicher Geschichten aus dem »Neuen Testament« verstehen wir nur, weil wir die Geschichten bereits kennen. Ohne Kenntnis der Evangelien wären die bildlichen Darstellungen unverständlich. Heidnische Bilder können also völlig falsch verstanden werden, wenn wir sie nach christlichem Verständnis interpretieren!

Fotos 11 und 12: Rücken und Beine des Drachens

Mir stellt sich immer wieder eine Frage: Betrachten wir das Medaillon und das Kreuzabnahme-Relief voreingenommen durch eine christliche Brille? Sehen wir voreilig Christliches, wo Heidnisches gezeigt wird, weil wir christliche Bilder im Kopf haben? Etwas Drachenartiges darf nach christlicher Weltsicht nur als Teufel gesehen werden. Sind wir beim Betrachten viel stärker von unseren christlichen Wurzeln beeinflusst als wir ahnen, ja als uns lieb ist?

Sollen wir Christliches erkennen, wo ursprünglich Heidnisches gemeint war? Ist die »Drachenszene« unter der »Kreuzabnahme« von einem sehr viel älteren heidnischen Bild-Relief überig geblieben?

Wurde das »Kreuzabnahme-Relief« aus einem älteren, heidnischen Bildnis erarbeitet? Wurde ein heidnisches Motiv mit Hammer und Meißel umgestaltet, retuschiert sozusagen? Unzählige Male stand ich vor dem Kreuzabnahmerelief. Je nach Sonnenstand verändern sich die Bilder. Die Konturen des »Drachenmotivs« unter dem Kreuzbild sind seltsam verschwommen. Der Drache wendet uns anscheinend seinen Rücken zu. Seine Beine und kräftigen Füße sind noch am besten zu erkennen…

Foto 13: »Mini-Hermann«

Fußnoten

(1) »Offenbarung des Johannes« Kapitel 12, Vers 1

(2) »Offenbarung des Johannes« Kapitel 12, Verse
3 und 4, zitiert nach Bibel-Ausgabe »Luther 1984«



Zu den Fotos:

Fotos 1, 2 und 3: Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Barbara Kern
Fotos 7, 8, 9 und 10: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 11, 12 und 13: Walter-Jörg Langbein



307 »Nikolaus und die goldenen Äpfel«,
Teil 307 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 06.12.2015



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Sonntag, 22. November 2015

305 »Rätselraten um eine Schlacht«

Teil 305 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Hermann alias Arminius
»Schade, dass Sie gleich weiter müssen…«, bedauert der wortgewandte Touristenführer seine Schäflein. »Oder wollen Sie doch noch ein paar Stündchen warten? Um 18 Uhr erfolgt der berühmte Schwertwechsel! Dann nimmt Hermann sein Schwert in die andere Hand!« Unglaubliches Staunen, gelangweilte Gleichgültigkeit und müde Geistesabwesenheit sind die Reaktionen der gemischten Gruppe. Ob es wirklich je jemand dem Touristenführer abnimmt, dass der Hermann, ein riesiges Denkmal in Metallhülle, sein Schwert von der einen in die andere Hand wandern lässt?

»Das Hermannsdenkmal…«, rattert der Touristenführer weiter, »hat eine Gesamthöhe von 53,46 Metern, die Figur des Hermann selbst misst stolze 26,57 Meter. Bis zur Errichtung der Freiheitsstaue in Amerika war der Hermann die höchste Statue der westlichen Welt! Den rechten Arm hat Hermann emporgestreckt. Er hält darin ein eisernes Schwert… Länge sieben Meter. Gewicht 550 Kilogramm. Krupp hat die riesige Waffe gestiftet! Links hält Hermann ein mächtiges Schild zu seiner Verteidigung. Höhe zehn Meter!«

Das Hermannsdenkmal ist eines der beliebtesten Touristenziele Deutschlands. Es dürfte eines der bekanntesten Denkmäler Europas sein. Errichtet wurde es zur Erinnerung an die »Schlacht im Teutoburger Wald«. Im Jahre 9 des Herrn besiegten germanische Stämme unter Führung des Arminius, alias Hermann, eine an Zahl weit überlegene römische Armee. Die römische Niederlage beeinflusste die weitere Geschichte Europas. Die Römer verzichteten darauf, ihr Imperium über den Rhein nach Osten auszudehnen.

Foto 2: Zeitgenössische Darstellung des Sockels

Ernst von Bandel verfolgte das Projekt »Hermannsdenkmal« gegen alle möglichen Widerstände über Jahrzehnte. Es gab immer wieder bittere Rückschläge, auch der Bau des Denkmals selbst verlief nicht ohne Unterbrechungen. 1838 wurde nach gründlicher Vorbereitung mit dem Bau des monumentalen Denkmals begonnen. Für das Denkmal – schon für den mächtigen Sockel – benötigte man Baumaterial. Also nutzte man den Jahrtausende alten Ringwall als »Steinbruch«.

Die Finanzierung machte immer wieder Probleme. So wurde das »deutsche Volk« 1840 in einem Spendenaufruf gebeten, sich an den immensen Kosten zu beteiligen.

Foto 3: Eine der zahllosen Spendenlisten

1872 waren endlich die einzelnen Teile des Denkmals fertig. Sie wurden nach Detmold auf den Teutberg geschafft. Ernst von Bandel zog in ein bescheidenes Blockhaus vor Ort und organisierte die Errichtung eines gewaltigen Holzgerüsts zum Hochziehen der einzelnen Bauelemente des Denkmals. Anno 1875, am 16. August,  wurde das Denkmal schließlich eingeweiht, am 25. September 1876 verstarb Ernst von Mandel, nur wenige Monate nach Vollendung seines Lebenstraums.

Umstritten ist bis heute, ob das Denkmal an der richtigen Stelle steht, ob die legendäre Varus-Schlacht wirklich bei Detmold stattfand. Gern wird von interessierten Kreisen behauptet, die legendäre Varus-Schlacht habe gar nicht bei Detmold stattgefunden, sondern in Kalkriese bei Bramsche im Osnabrücker Land. Als »Beweise« wird auf Münzfunde hingewiesen. Und in der Tat wurden 627 Münzen geborgen, zum Teil mit der Prägung »VAR«. Diese Münzen stammen aus den Jahren 7 bis 9 nach Christus. Verschwiegen wird von den »Kalkriese-Fans« allerdings die Tatsache, dass in Kalkriese auch »Asse«-Münzen aus der Zeit von 12 n.Chr. bis 14 n.Chr. ans Tageslicht kamen.

Vermutlich handelt es sich bei den »Beweisen« für Kalkriese als Ort der »Hermannsschlacht« um Spuren eines anderen Gemetzels. Die Besatzung des römischen Nordlagers Tulifurdum war auf dem Rückzug und wurde wohl um 14 oder 15 n.Chr. in Kalkriese in einen Hinterhalt gelockt und vernichtend geschlagen.

Foto 4: Siegreicher Hermann
Die Behauptung, die Varus-Schlacht habe bei Kalkriese stattgefunden und nicht bei Detmold scheint sich mehr und mehr als Publicity-Gag zu erweisen…. Zweck: Hunderttausende, ja Millionen von Touristen, die bisher nach Detmold strömen, sollen nach Kalkriese umgeleitet werden. So kritisiert der Historiker Peter Kehne (1), Hannover, dass eine vage »Interpretationsmöglichkeit« von PR-Spezialisten »durch ständige Repetition zu einer angeblichen ›Gewissheit‹ und damit schon Kalkriese zur ›historischen Tatsache‹« hochgejubelt wird.

Was von der »PR-Fraktion Kalkriese« gern verschwiegen wird: Der Engpass bei Kalkriese, wo angeblich Varus und seine drei Legionen besiegt worden sein sollen, der ist einfach zu klein, bietet zu wenig Platz. Für mich ist es ein Fakt: Kalkriese kommt als Varus-Hermann-Schlachtfeld eher nicht infrage.

Foto 5: Ernst von Badel um 1875
Wo genau das große Gemetzel im Jahr 9 n.Chr. stattgefunden hat, konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Beim Streit um die Identifizierung dieses Orts geht es wenigen seriösen Historikern um geschichtliche Wahrheit und  vielen  eifirg wettstreitenden Tourismus- Managern um Millionen. Millionen von Touristen bringen Millionen von Euros…

Übrigens: Ernst von Bandel war mit der Wahl des Orts für das Hermanns-Denkmal  nicht wirklich einverstanden. Ernst von Bandel hätte den riesengroßen »Hermann« lieber bei den Externsteinen gesehen. Unklar ist, ob von Bandel wusste, dass beim Bau seines Denkmals eine mächtige germanische Wallburg aus eindeutig vorchristlichen Zeiten zerstört wurde.

Noch im frühen 19. Jahrhundert soll die imposante Wallanlage – wohl vergleichbar mit der Herlingsburg –  deutlich zu erkennen gewesen sein. Die – ich wiederhole – vorchristliche germanische Burg wurde zerstört, um das »Hermannsdenkmal« zur Erinnerung an eine Schlacht zu bauen, von der niemand wirklich weiß, wo sie stattgefunden hat.

Deutliche Indizien weisen aber mehr auf den Teutoburger Wald hin als auf Kalkriese. Varus verlegte anno 9 n.Chr. seine Truppen vom Sommerlager – vermutlich im Großraum Hameln – ins Winterlager an den Rhein. Vom vermuteten Sommerlager an den Rhein hätte der direkte Weg in die Region des heutigen Detmold geführt. Irgendwo hier muss zur berühmten Schlacht gekommen sein…. Vom Sommerlager aus ins Winterlager wäre der Weg über Kalkriese ein unnötiger Umweg gewesen. Kein Argument lässt sich  für einen  solchen längeren Weg
finden.

Foto 6: Unermüdlicher Hermann
Ein »guter Kandidat« für die Varusschlacht ist das sogenannte »Winfeld«. Hier wurden Waffen und Münzen gefunden. Fand also hier das legendäre Gemetzel statt? Das »Winfeld« überzeugt mich jedenfalls mehr als »Kalkriese«. Das »Winfeld« liegt bei Horn, unweit der Externsteine. Ernst von Bandel wollte ja sein Hermannsdenkmal bei den Externsteinen errichtet sehen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Also akzeptierte er den Standort bei Detmold. An einem Streit um den genauen Platz für das Monument sollte sein Projekt nicht scheitern! (2)

Wer meint, die alte Germanenburg fiel der Zerstörung ausschließlich  im 19. Jahrhundert zum Opfer, der irrt. Im »Führer zu archäologischen Denkmälern« heißt es (3) in Band 11 (»Der Kreis Lippe II): »Die etwa 11 Hektar große Innenfläche der der Grotenburg ist durch die Gaststätte, Parkplätze und Wegführung in Verbindung mit dem Hermannsdekmal weitestgehend zerstört oder versiegelt.«

                                                                                                  Fußnoten

Foto 7: Mini-Hermann vor der Tür
1) Kaifer, G. (Hrsg.): »Hermann Denkmal/ Naturpark Teutoburger Wald Wald«, Bad Salzuflen 2004, S. 27
2) ebenda, S. 26
3) Hohenschwert, Friedrich (Bearbeitung): »Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland/ Band 11/ Der Kreis Lippe II«, Stuttgart 1985, S. 140

Zu den Fotos...

Fotos 1, 4, 6 und 7: Walter-Jörg Langbein. Fotos 2, 3 und 5: Archiv Langbein


306 »Das Medaillon und eine Göttin«
Teil 306 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 29.11.2015


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Freitag, 20. November 2015

Frage an Angela Merkel: Wer ist eigentlich »Wir«?

Ursula Prem
Freitagskolumne von Ursula Prem

Wenn existenzielles Leiden lange zurückliegt, man es vielleicht sogar nicht aus eigener Anschauung, sondern bloß aus Erzählungen der Eltern, Großeltern oder gar nur aus familieninternen Reportagen aus dem Leben der Ahnen kennt, dann sollte man der eigenen Wahrnehmung misstrauen. Nicht grundsätzlich, aber doch dann, wenn es um Grundsätzliches geht. Oder, um es mit Deutschlands (durch überdrüssige Kulturrelativisten allzu oft relativierten) größtem Dichter zu sagen:


Wer nie sein Brot mit Tränen aß, 
Wer nie die kummervollen Nächten 
Auf seinem Bette weinend saß, 
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. 

Ihr führt ins Leben uns hinein, 
Ihr lasst den Armen schuldig werden, 
Dann überlasst ihr ihn der Pein, 
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.


Wer sich nun fragt, welcher Dichter das wohl war (zur Auflösung: Goethe natürlich), sollte der eigenen Wahrnehmung noch mehr misstrauen: Die schon besagten Kulturrelativisten (heute auch Gutmenschen genannt) haben an ihm besonders eindrucksvolle Arbeit geleistet. Künftig also wird er eine Wagner-Oper mit einer Wagner-Pizza verwechseln und das noch für ein Verdienst halten.

Relativieren lässt sich tatsächlich  grundsätzlich alles. Da werden die eigenen Wurzeln plötzlich satyrhaft zur ominösen »Leitkultur« mit faschistoidem Touch umetikettiert und sogleich misstrauisch beäugt. Klar: Der Fisch erkennt die Existenz des Meeres erst dann, wenn er von einer vorlauten Welle an Land geworfen wird und nach Luft japst. Geschieht dies aufgrund eines günstigen Schicksals über lange Zeit oder gar Generationen lang nicht, ist ihm das Vorhandensein des Wassers so selbstverständlich, dass er es gar nicht wahrnimmt. Tatsächlich dürfte kaum ein Wesen weniger Bewusstsein für das nasse Element haben wie der Fisch, obgleich er aufgrund reiner Gewohnheit gelernt hat, sich virtuos darin zu bewegen.


Heute nimmt es nicht wunder, dass es gerade die ehemaligen Ostblockstaaten sind, die sich noch am ehesten der Existenz ihres Lebenselixiers erinnern: ihres Heimatlandes. Im Verhältnis ist es nicht lange her, dass dessen Herauslösung aus dem ebenso künstlichen wie gewaltsamen Gebilde des drögen Ostblocks gelang und sie sich wieder freier entfalten durften. Ist es da ein Wunder, dass die inneren Seismografen der meisten Bewohner gerade ehemaliger Ostblockländer noch wacher sind als die der ebenso verfetteten wie schläfrigen Einwohner des Westens, deren größte Sorge sogar noch vor wenigen Wochen die gendergerechte Verwendung des Ampelmännchens war, während die Bewohner des ehemaligen Ostblocks noch kaum in diese soziologischen Luxuswelten vorgedrungen sind?

Die Bewohner des Westens, in zweiter und dritter Generation von KindergärtnerInnen mit verbriefter Sozialkompetenz und verbeamteten LehrerInnen mit 13. Monatsgehalt plus Zulagen zu Arglosigkeit und antiquierter Rechtschreibung erzogen, werden natürlich mit völliger Hilflosigkeit reagieren, wenn sie sich plötzlich mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert sehen. Für derart unglücklich Sozialisierte reduziert sich eine fundamentale Menschheitskatastrophe schnell zur gigantischen Facebookparty mit Potenzial zur expliziten Herausstellung des eigenen Gutmenschentums. In diesem Zusammenhang stellt man sich gerne gegenüber dem noch »unterentwickelten« Teil der Menschheit als überlegen dar. Klar: Haben Ostblockländer wie Ungarn oder Polen nicht wesentlich weniger Demokratieerfahrung, weshalb sie sich ruhig an der Hand nehmen und belehren lassen sollten, am besten von deutschen Theologinnen mit Doppelnamen und übergroßer Tränendrüse?


Permanente Rechtsbrüche


Für Mätzchen dieser Art habe ich in normalen Zeiten durchaus Sinn und Humor. Doch inzwischen haben wir eine völlig andere Situation, in der bizarre Unterhaltsamkeit zur Sekundärtugend absinkt. Wer bisher noch unsicher ist: Nein, es ist eben nicht selbstverständlich und auch nicht alternativlos, dass die Bewohner eines Landes fremde Menschen in einer unbekannten Zahl, die im Jahre 2015 irgendwo zwischen 800.000 und 1,5 Mio. liegt (niemand weiß es genau) mit infantiler Naivität herzlich willkommen heißen, ohne nach den Folgen zu fragen. Auch dann nicht, wenn dies den Anforderungen der noch aktuellen Regierung entspricht, deren Souverän das Volk angeblich sein soll. Und nein, es ist auch nicht selbstverständlich oder alternativlos, die permanenten Rechtsbrüche der Regierung gutmütig abzunicken. Und es ist durchaus legitim, die Wir-schaffen-das-Kanzlerin zu fragen: »Wer genau ist eigentlich wir?« Ein Phantom, das beschworen werden soll, wenn es übergeordneten Zwecken dienlich ist, das sich seiner selbst aber trotzdem nicht bewusst sein darf, weil es eigentlich des Teufels ist?


Wer solche Fragen stellt, macht sich heute schnell verdächtig. Aus unerfindlichen Gründen nämlich hat sich ein großer Teil der Medien darauf verständigt, es als den letzten Schrei humanitären Empfindens zu verstehen, wenn von Krieg und Not geplagte Menschen durch gezielte Kürzung der Lebensmittelrationen in heimatnahen Flüchtlingslagern einerseits und die herzliche Einladung der »mächtigsten Frau der Welt« andererseits gezielt dazu getrieben werden, unmenschlich weite und lebensgefährliche Wege auf sich zu nehmen, um anschließend in einem bayerischen Bierzelt mit Notheizung zu überwintern. Ja. Wenn die Humanität das Wort ergreift, hat der Mensch wohl zu schweigen.



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Sonntag, 15. November 2015

304 »Die Externsteine und das Blutloch«

304 »Die Externsteine und das Blutloch«,
Teil 304 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2: Blutloch und Drachenkampf

Unzählige Male habe ich in den vergangenen Jahrzehnten die Externsteine bei Detmold besucht. Noch in den 1970er Jahren war es problemlos möglich, in die verschlossenen Kammern in Fels I zu kommen. Man musste nur warten, bis vor Ort etwas Ruhe eingekehrt war. Oft gab es stundenlang kaum Besucher…. und dann wahre Massenabläufe. Besonders viel Publikum strömte herbei, wenn Reisebusse eben auch die Externsteine abhakten, um dann rasch und programmgemäß der nächsten Sehenswürdigkeit zuzustreben.

Kaum hatten genervte Führer ihre Schäflein zurück in die Busse getrieben, war der Zeitpunkt günstig. Man konnte den freundlichen Wächter im Kartenhäuschen um den Schlüssel bitten, und schon durfte man eine geheimnisvolle Welt in den Externsteinen betreten, die den Massenströmen verborgen blieb. Leider kam es immer wieder zu Vandalismus. Da wurden, zum Beispiel, die Wände in den altehrwürdigen Kammern im gewachsenen Stein mit Farbe beschmiert. »Besonders schlimm waren Schulklassen!«, erinnerte sich im Gespräch vor vielen Jahren ein Mann im Kiosk. »Manchmal haben sogar Lehrer tatenlos zugesehen…« So ist es verständlich, dass man heute als Einzelner nur noch mit besonderer Genehmigung die mysteriösen Räume betreten darf.

Foto 3: Autor Langbein vermisst

Vom Hauptraum aus gelangt man, vorbei an einer kleinen in den gewachsenen Stein gemeißelten »Wanne«, in den unheimlichsten Raum in den Externsteinen. Der sehr kurze Verbindungsgang ist verwinkelt. Es ist zu vermuten, dass er erst nachträglich aus dem Fels geschlagen wurde. Vermutlich waren »Kuppelraum« und »Hauptraum« zunächst zwei Kammern ohne Verbindung. Im Kuppelraum macht sich ein Kuriosum bemerkbar. Laut gesprochene Worte hallen seltsam nach.

Den einstigen Eingang zum »Kuppelraum« bewacht seit jeher eine etwa lebensgroße Gestalt. Heute verwehrt ein festes Metallgitter den Zutritt.  Die stark verwitterte, halbreliefartig herausgearbeitete Figur hält so etwas wie einen Schlüssel in der Hand. Heute ist und bleibt der Eingang verschlossen. Durch metallene Gitterstäbe kann man in die Kammer mit der Kuppel blicken. Wann wurde sie geschaffen und zu welchem Zweck? Waren es christliche Mönche, die sich hier versammelten?

Foto 4: Die steinerne Kuppel

Professor Wolfhard Schlosser, studierter Physiker Mathematiker und Astronom beschäftigte sich intensiv mit den Externsteinen. Auch er setzte sich wissenschaftlich mit der Frage auseinander, wann denn die mysteriöse Kultanlage »Externsteine« zum ersten Mal benutzt wurde (1). Über die Frage der Datierung schrieb er (2):

»Ein bearbeiteter Standstein läßt sich allenfalls stilistisch oder von den Bearbeitungsspuren her altersmäßig einordnen; ein physikalisches Verfahren (vergleichbar mit der Radiokarbonmethode bei organischem Material) existiert zunächst nicht…. Eine willkommene Ergänzung zu diesen, im weitesten Sinne als kunsthistorisch zu bezeichnenden Alterszuweisungen war die Entdeckung von U. Niedhorn, daß im Inneren des Kammersystems von Fels 1 heftige Feuer gebrannt haben müssen.«

Foto 5: »Humanoide Gestalt«

Bleiben wir noch bei der »Wächtergestalt«. Die humanoide Gestalt ist – trotz geschützter Positionierung am Fels unter einem künstlich geglätteten Vorsprung – bemerkenswert schlecht erhalten. Der Körper ist, so scheint es, vom Zahn der Zeit in ein Relief ohne echte Konturen verwandelt worden. Der Kopf erinnert stark an einen Totenschädel. Gewiss: Die Gestalt hält offenbar einen Schlüssel in der Hand, der aber könnte nachträglich gemeißelt worden sein. Auch weist ein solcher Schlüssel nicht zwangsläufig auf Petrus hin. Es könnte sich bei dem vermeintlichen »Petrus« auch um den heidnischen Wächter eines Totenreiches gehandelt haben, vielleicht um einen Totengott am Eingang zur Unterwelt.

Foto 6: Schlüssel Petrie...

Nach genauer Untersuchung des »Wächters« drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Figur von Anfang an so konzipiert war, wie sie heute – noch – aussieht. Ich glaube, die vagen Umrisse waren so beabsichtigt. Der Wächter war als Geistwesen an der Grenze zum Jenseits gedacht. Oder ist diese fast undefinierbare Gestalt von Witterungseinflüssen im Lauf der Zeit so stark abgeschliffen worden, dass heute nicht mehr viel zu erkennen ist? Dann müsste sie wirklich sehr alt sein, zumal sie unter einem künstlich geglätteten Felsvorsprung steht.

Oder hat Ralf Koneckis-Bienas recht, wenn er beschreibt die mysteriöse Gestalt als (3) »halbfertig eingehauen«. Auch Ralf Koneckis-Bienas, profunder Experte in Sachen Externsteine, erkennt, dass die »menschengroße Gestalt... in der rechten Hand einen Schlüssel hält und in der linken einen Riegel, der zum Verschließen der Tür diente.«

Der Unsicherheiten gibt es aber noch viele. Ist der vermeintliche »Riegel« nicht vielleicht doch ein Schwert? Irren wir uns, wenn wir vom Schlüssel auf den biblischen Petrus schließen? Externsteine-Forscher Karl Haug, so Koneckis-Bienas (4), »zieht zum Vergleich eine schwertbewehrte keltische Wächterfigur aus Süddeutschland zu Rate«.

Wer auch immer vor der Tür zur Kuppelgrotte  Wache schob – ob Petrus oder ein keltischer Krieger – ist gar nicht so wichtig. Es kommt vor allem darauf an, dass sich in der Höhle etwas Wichtiges abgespielt haben muss. Da loderten Feuer, Ruß  schlug sich an der kuppelförmigen Decke nieder.

Foto 7: Das »Blutloch«
Meiner Meinung nach ist dieser Kuppelraum von ganz besonderer Wichtigkeit im Komplex der Externsteine-Stätte. Die Tür wird von einem steinernen Wächter gesichert. An der Außenwand just jener Kammer prangt das große Kreuzabnahme-Relief. Es muss eine Beziehung zwischen der Kuppelkammer und dem Kreuzabnahmerelief geben! So wurde aus dem Inneren des Kuppelraums eine Verbindung nach draußen durch den Stein gemeißelt. Diese Röhre endet im unteren Bereich des Kreuzabnahme-Reliefs. Besonders christlich mutet das Teilstück des Reliefs nicht an, neben dem der Ausgang der »Röhre« ins Freie tritt.

Ralf Koneckis-Bienas: »Unter dem Laufboden ist ein drachenähnliches Wesen zu erkennen, das zwei kniende Gestalten umschlingt.« Direkt neben diesen Gestalten erkennen wir den Ausgang der »Röhre«, die – so berichtet Koneckis-Bienas – noch im 19. Jahrhundert den Namen »Blutloch« trug. Sollte das ein Hinweis auf eine uralte Opferstätte sein? Waren die Feuer in der Kuppelgrotte Teil eines Kults?

Eine Felsenkammer mit Kuppel, in der gewaltige Feuer Höllenglut entwickelten … ein »Blutloch« … und ein »drachenähnliches Wesen«… diese Kombination klingt nicht nach christlichem Brauchtun, sondern nach heidnischem Ritual. 

Foto 8: Links im Bild: Das »Blutloch«

Wann aber, diese Frage drängt sich auf, loderten die Flammen? Diese Frage wollte Professor Wolfhard Schlosser geklärt wissen. Er ließ einige »Proben des gebrannten Sandsteins entnehmen und kernphysikalisch untersuchen«, und zwar vom renommierten Max-Planck-Institut für Kernphysik zu Heidelberg. Die Ergebnisse wurden 1990 ganz offiziell publiziert (6). Professor Wolfhard Schlosser erklärt (7):

»Es ist nämlich mit den Methoden der Thermolumineszenzanalyse möglich, das Verlöschen des letzten Feuers grob zu datieren. Es zeigte sich, daß dies weit in vorchristlicher Zeit erfolgt sein muss, die Kammern also mindestens ebenso alt sind.«

Damit war wissenschaftlich bewiesen, dass zumindest die »Kuppelhöhle« schon in vorchristlichen Zeiten in Gebrauch war! Seltsam: Jahre später führte das gleiche Institut eine zweite Datierung von Proben aus der Kuppelkammer durch. Und plötzlich  lauteten die Ergebnisse ganz anders. Plötzlich hieß es dass die Feuer nicht vorchristlichen Zeiten loderten, sondern erst sehr viel später! Zwei Feuerspuren in der Haupt- und Nebengrotte entstanden demnach erst Spätmittelalter, nämlich um 1325 und 1425 n. Chr. Die ältesten Spuren stammten aus der Kuppelgrotte. Wie alt sind sie?

Foto 9: Grundriss der Räume in Fels 1

Bei der Bewertung der Messergebnisse der Thermolumineszenzanalyse können erhebliche Abweichungen auftreten. Messungen in der Kuppelgrotte ergaben, dass die letzten Feuer in der Zeit um 934  und um 735 nach Christus brannten. Kalkuliert man mögliche Abweichungen von etwa 180 Jahren ein, dann ergibt das immerhin noch ein Höchstalter der Feuerspuren von 1460 Jahren. Aber Vorsicht! Gemessen wurde, wann zuletzt an bestimmten Stellen Ruß abgelagert wurde. Kalkuliert man Messungenauigkeiten mit ein, dann brannten die ältesten Feuer womöglich im Jahr des Herrn 555. Es ist natürlich denkbar, dass die Spuren aus dem Jahr 555 noch sehr viel ältere überdeckt haben.

Ich bin verwirrt. Welche wissenschaftlichen Datierungen des Max-Planck-Institut für Kernphysik zu Heidelberg sind denn nun richtig und welche falsch? Wie ist es möglich, dass ein und dasselbe Institut zu so unterschiedlichen, stark voneinander abweichenden Ergebnissen kommt? Zunächst hieß es, die Aktivitäten in der Kuppelkammer hätten weit in vorchristlichen Zeiten stattgefunden. Und dann wurde plötzlich ein ganz anderes Ergebnis verlautbart, plötzlich wurden die Spuren als deutlich nachchristlich datiert. Die Datierungen – vom gleichen Institut vorgenommen – wichen in den Extremwerten um bis zu 2400 Jahre voneinander ab! Ist die Thermolumineszenzanalyse womöglich gar nicht so verlässlich wie gern behauptet wird? Oder beeinflussen weltanschaulich-ideologische Überzeugungen die Ergebnisse dieser so wissenschaftlichen Datierungsmethode?

Fußnoten

Foto 10: Blüten und Stein
1) Schlosser, Wolfhard: »Externsteine« in »Archäoastronomische Objekte der Hallweg-Region, Teil 2«, »Externsteine«, erschienen in »Andromeda/ Zeitschrift der Sternfreunde Münster E.V.«, 13. Jahrgang, Heft 2, S.8-11, Münster 2000
2) ebenda, S.8
3) Koneckis-Bienas, Ralf: »Derr Teufel am Externstein/ Ein Forschungsabenteuer«, Detmold 2015, S. 21, mittlere Spalte oben
4) ebenda
5) ebenda
6) Lorenz, I.B., Rieser, U., Wagner, G.A.: »Thermolumineszenz-Datierung archäologischer Objekte«, Jahresbericht (ed. H.V. Klapdor-Kleingrothaus, J. Kiko), Max-Planck-Institut für Kernphysik,1990
7) Schlosser, Wolfhard: »Externsteine« in »Archäoastronomische Objekte der Hallweg-Region, Teil 2«, »Externsteine«, erschienen in »Andromeda/ Zeitschrift der Sternfreunde Münster E.V.«, 13. Jahrgang, Heft 2, S.8, Münster 2000 


Zu den Fotos:

1und 2: Fotos Walter-Jörg Langbein 
Foto 3: Walter Langbein sen.
Fotos 4-8: Walter-Jörg Langbein
Fotos 9: Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Walter-Jörg Langbein


305 »Rätselraten um eine Schlacht«,
Teil 305 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 22.11.2015


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Sonntag, 8. November 2015

303 »Von der Kreuzigung zum Teufelsarsch«


Teil 303 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: See zu Füßen der Externsteine

In der Zeitschrift »Wünschelrute – Ein Zeitblatt« entdeckte ich (1) eine alte Sage. Werner von Haxthausen (* 11. Oktober 1744 im Fürstbistum Paderborn; † 23. April 1823 in Bökendorf bei Brakel) hat schriftlich festgehalten, was damals – zu Beginn des 19. Jahrhunderts –  noch von Kundigen erzählt wurde. Die »Sage vom Externsteine« verdeutlicht, dass die Externsteine noch ein heidnischer Kultort gewesen sein müssen, als das Christentum bereits weitverbreitet war. Ich darf zunächst die Sage zitieren (2):

Foto 2: Das mysteriöse Kreuzabnahmerelief der Externsteine

»Als das Kreuz Christi bey uns gepredigt wurde, so ärgerte sich der Teufel, daß er immer eine Gegend nach der andern verlor. Er hatte lange die Gegend vom Externsteine nicht besucht und hoffte immer, daß es über den Damm nicht herüber könnte. Da er aber überall flüchten mußte, so wollte er sich nun nach dem Externsteine zurückziehen.«

Mit anderen Worten: Das Christentum hatte sich schon weitestgehend durchgesetzt, da gab es an den Externsteinen noch eine »lebende« Kultstätte, deren Anhänger mit dem Teufel gleichgesetzt wurden. Im »III. Reich« zeigten die Nazis – allen voran - »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler – großes Interesse an den Externsteinen. Sie sahen den mysteriösen Ort als »germanischen Kultort«. Archäologische Grabungen um 1933 erbrachten freilich keinerlei stichhaltigen Beweis für germanisches Urbrauchtum an den Externsteinen.

Nach dem Ende des II. Weltkriegs wurde offenbar jeder Hinweis auf vorchristliche Nutzung der Externsteine tabuisiert (3). Die Sage – 1818 zu Papier gebracht – sieht das Heidentum an den Externsteinen durch das Christentum bedroht. Sie beschreibt – in der Sprache der Sage – den Sieg des Christentums und die Niederlage des »Teufels« (also des Heidentums) (4):

Foto 3: Teufelsfratze, Externsteine
»Er (der Teufel) kam an und sah eine große Menge Menschen, die vor dem Kreuze niederfielen, das man noch an den Felsen ausgehauen sieht, und die zu der Capelle auf der Spitze des steilsten Felsen und zu dem Grabe am Abhange des vordersten Felsen eine Procession hielten.«

Die Christen pilgerten also zu den Externsteinen, sie beteten vor dem Kreuzabnahmerelief, das heute noch hunderttausende Besucher anlockt. Umstritten ist aber bis heute, ob das beeindruckende Bildnis von Anfang an ein christliches Kunstwerk war, oder ob nicht vielleicht doch ein älteres, sprich heidnisches Relief umgearbeitet wurde. In der Tat ist das untere Drittel des Reliefs sehr viel stärker verwittert. Das dargestellte Menschenpaar, von einem Lindwurm (?) umschlungen, könnte durchaus heidnische Wurzeln haben. Lesen wir weiter in der Sage (5):

»Das verdroß den Teufel. Er sah einen Priester mit einem Cruxifix von der Capelle kommen, er ergriff ein großes Felsenstück und schleuderte es nach ihm. Aber die Macht des Kreuzes gab dem Steine eine andere Richtung und er blieb auf einer Felsenspitze hängen.«

Foto 4: Der »Wackelstein« auf Felsen IV

Der »Wackelstein«, das angebliche Wurfgeschoss des Teufels, befindet sich auch heute noch in luftiger Höhe auf »Felsen IV«. Angeblich konnte ihn ein einzelner Mensch zum Schaukeln bringen, es sei aber unmöglich gewesen, ihn vom Felsen zu stürzen. Die lippische Fürstin Pauline sicherte den Koloss durch Metallklammern in den Jahren 1835 bis 1836, später wurde er noch mit Beton am Untergrund fixiert.

Folgen wir weiter der Sage (6): »Da sprach der Priester den Fluch über ihn (den Teufel) aus, und der Teufel flüchtete bey dem ausgehauenen Kreuze vorbey, an dem untersten Abhange des Berges zu dem Grabe. Hier faßt er mit seinen Krallen hinein, die noch deutlich darinn zu sehen sind, konnte es aber nicht zerstören. Da stemmte er sich gegen den großen Felsen, um ihn niederzuwerfen. Er drängte so gewaltig, daß er ein tiefes Loch in den Felsen drückte, und die Flamme schlug daran in die Höhe, wie noch deutlich zu sehen. Der Felsen blieb aber unbeweglich stehen, weil das Kreuz daran ausgehauen war. Da ging der Teufel fluchend fort und drohte, der Stein, den er zuerst gegen den Priester schleuderte, der solle noch einmal eine Bürgerfrau aus der Stadt Horn umbringen. Die Bürger aus Horn gaben sich alle Mühe, diesen Stein herunterzubringen, der ganz lose zu liegen scheint, es war ihnen aber bis jetzt unmöglich. Seit einem Jahre geht die Landstraße zwischen dem, worauf der Stein liegt, und einem andern Felsen durch.«

Foto 5: Das steinerne Grab am See der Externsteine

Das »steinerne Grab« könnte als Nachbildung des Grabes Jesu gedacht sein. Es ist möglich, dass Prozessionen vom Kreuzabnahmerelief zum Steingrab gingen. Vielleicht legten sich Gläubige auch in das Steingrab, um sich besonders intensiv in Jesu Leid und Tod einzufühlen. Oder das Steingrab  ist vorchristlichen Ursprungs? Direkt beim Steingrab stießen Archäologen auf drei Skelette. Sie waren vollständig… bis auf die Füße. Wurden hier – diese These wird auch vertreten – Druiden eingeweiht? Vollzogen sie in geheimen Ritualen den Kreislauf des Lebens… von Tod und Auferstehung? Ein »Archäologe« vor Ort erklärte mir, bei den Skeletten ohne Füße handele es sich um verstoßene Kelten. Man nahm ihnen die Füße, so die Erklärung, um sie daran zu hindern ins Jenseits, in die »Anderswelt«, zu wandern.

Foto 6: Autor Langbein meditiert im Felsengrab (Foto Inge Diekmann)

In der Mythenwelt der Kelten gab es Schwellenorte, an denen ein Übergang zur anderen Welt besteht. An diesen ganz besonders heiligen Orten ist nach Keltenglauben die Kontaktaufnahme mit der jenseitigen Welt möglich. War das Felsensteingrab also keltischen Ursprungs? Legte man sich in die mumienförmige Kuhle, um Kontakt mit den Toten aufzunehmen? Das Felsengrab liegt an einem kleinen, künstlich angelegten See. Die Kelten glaubten an Tore zur Anderswelt. Solche Übergänge gab es in ihrer Glaubenswelt zum Beispiel unter Seen. Nun liegt das Steingrab der Externsteine nur wenige Meter von einem künstlich angelegten See entfernt. In seiner heutigen Form wurde er erstmals von der lippischen Fürstin Pauline in den 1830er Jahren in Auftrag gegeben. Gab es vielleicht just an jener Stelle schon sehr viel früher einen See?

Foto 7: Felsengrab (senkrechter Pfeil), Teufelsarsch /wagrechter Pfeil)

Lassen Sie mich spekulieren: Fakt ist, dass sich unterhalb der Externsteine eine vermutlich natürliche Höhle befindet. Man sieht sie in der Regel nicht, weil ihr Eingang weitestgehend unter dem Spiegel des Sees liegt. Kombinieren wir: Wenige Meter vom Sargstein entfernt gibt es unter dem Wasserspiegel eines Sees eine Höhle. Ist es reiner Zufall, dass dieses Szenario exakt keltischen Vorstellungen entspricht? Die Höhle wäre dann die Unterwelt… oder der Eingang in die Unterwelt… unter einem See! Keltischer geht es kaum noch.

Zu dieser Höhle gibt es eine sehr interessante Sage…Die Höhle wird in der Regel beschönigend als »Teufelssloch« bezeichnet. Ihr eigentlicher Name aber lautet, deutlich derber »Teufelsarsch«. Doch lauschen wir der Sage! Die Sage erklärt, wie es zum Namen kam! Der Teufel war ob des christlichen Treibens an den Externsteinen mehr als empört. Er (7) »konnte nicht leiden, daß etwas Gutes daselbst verrichtet wurde, derowegen  hat er sich unterstanden, mit Gewalt den Stein umzustoßen. Die Alten weiseten daselbst, an welchem Ort des Steins der Teufel angefangen. Und er hat sich mit aller Macht dagegen gestemmt, hat ihn aber nicht umwerfen können. So mächtig aber hat er sich dagegen gedrängt, daß sich sein Hinterer tief in den Stein gedrückt hat, wie man noch sehen kann.«

Foto 8: Keltisch oder christlich? Kreuzabnahmerelief... unter dem Kreuz

Mit anderen Worten: Der Teufel höchstselbst wollte den Stein mit dem Kreuzabnahmerelief umwerfen. Und weil er sich mit unglaublicher Gewalt mit seinem Allerwertesten gegen den Stein presste, entstand die Höhle. Eine Vermutung liegt nahe: Die Höhle wurde in vorchristlichen Zeiten für kultische Handlungen der heidnischen Art verwendet…. der keltischen vielleicht? Für die frommen Christen jedenfalls war das böses, gegen den christlichen Glauben gerichtetes Teufelswerk! Und deshalb wurde die heidnische (keltische??) Höhle zum – pardon – »Teufelsarsch«!


Fußnoten

Foto 9: Externsteine vom See aus, etwa 1910 (Archiv W-J.Langbein)
1) Hornthal, Peter von (Herausgeber): »Haxthausen, Werner von: ›Sage vom
Externsteine‹«, Göttingen 1818, Nr. 11, S. 43 (Rechtschreibung unverändert aus
der Quelle übernommen!)
2) ebenda!
3) Siehe hierzu…. Braun, Wolfgang: »Geheime Orte in Ostwestfalen/ Ein
     Ausflugsführer«, Berlin 2015. (Externsteine, Tour 2, Die Externsteine lassen viele
     Fragen offen, S. 42-49)
Foto 10: Der »Wackelstein«
4) Hornthal, Peter von (Herausgeber): »Haxthausen, Werner von: ›Sage vom Externsteine‹«, Göttingen 1818, Nr. 11, S. 43 (Rechtschreibung unverändert aus
der Quelle übernommen!)
5) ebenda
6) ebenda
7) Mundhenk, Johannes: »Forschungen zur Geschichte der Externsteine, Band II,
     Untersuchungen zur Jüngeren Geschichte der Externsteine«, Lemgo 1980, S
     127/28 (Orthographie nicht angepasst!)

Zu den Fotos
Fotos 1-5: Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Ingeborg Diekmann
Fotos 7 und 8: Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Archiv Langbein (etwa 1910)
Foto 10: Walter-Jörg Langbein 

304 »Die Externsteine und das Blutloch«,
Teil 304 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 15.11.2015


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Sonntag, 1. November 2015

302 »Maria Magdalena, Räuber und Widukind II«

302 »Maria Magdalena, Räuber und Widukind II«
Teil 302 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Klosterruine »tom Roden«

Wann wurde »tom Roden« gegründet und von wem? Darüber schweigen Akten und Urkunden. Selbst im Archiv des einstigen Klosters von Corvey…. nur wenige hundert Meter von »tom Roden« entfernt, gibt es keinerlei Hinweis. Warum wurde »tom Roden« ins Leben gerufen? Auch auf diese Frage finden wir in den Urkunden keine Antwort. Grundsätzlich: Klöster waren nicht nur am Seelenheil der Gläubigen interessiert, ihre Gründerväter hatten durchaus auch finanzielle Interessen.

So war es aus wirtschaftlichen Erwägungen durchaus sinnvoll, wenn zum Beispiel ein Kloster im städtischen Bereich irgendwo auf dem Lande eine »Dependance« eröffnete, um so zu zusätzlichen Einnahmen zu kommen. Nun liegt aber »tom Roden« weniger als einen Kilometer vom Kloster Corvey entfernt, wäre als »Dependance« von Corvey eher ein finanzieller Negativposten. Kurz: Nur wenige hundert Meter von einem Kloster ein zweites Kloster zu gründen, das macht keinen Sinn.

Foto 2: Hier wurde Maria Magdalena verehrt

Darf, ja muss man also annehmen, dass »tom Roden« nicht von Corvey aus gegründet wurde? Die Kirche von »tom Roden« war der Maria Magdalena geweiht. Das kann als Hinweis verstanden werden! Es könnte sich um die Stiftung eines reuigen Sünders handeln, der – um sein Seelenheil fürchtend – schwere Schuld durch eine üppige milde Gabe zumindest mindern wollte. Oder wurde jemand dazu verurteilt, das Kloster »tom Roden« zu finanzieren?

Foto 3: Hier hauste Widukind II
Nun wird vermutet, dass die Rodungen für das Kloster »tom Roden« im zwölften Jahrhundert vorgenommen wurden. Nach intensivem Quellenstudium brachte mich auf die Spur eines wirklich aussichtsreichen Kandidaten… Widukind II. von Schwalenberg! Die Schwalenburg über dem malerischen Städtchen Schwalenberg macht heute noch einen imposanten Eindruck. Nach dem Tod des letzten Grafen von Schwalenberg fehlten die Mittel, das historische Gebäude zu erhalten. So verfiel die Burg immer mehr. 

In den Jahren 1911 bis 1913 wurde sie als Sitz für die Prinzessin Friederike zur Lippe genutzt. In den Jahren nach der Weimarer Republik diente die Burg als Müttergenesungswerk und anschließend als evangelisches Kindererholungsheim.  1960 werden die Räumlichkeiten der Burg renoviert und stehen der Öffentlichkeit als einen Restaurant und Hotel zur Verfügung. Das Restaurant bietet einen wunderbaren Ausblick auf die Umgebung. Auf historischen Aufnahmen wirkt die Schwalenburg allerdings reichlich düster, erinnert an die Kulissen für eine Frankenstein-Verfilmung in Schwarzweiß aus den 1930er Jahren. Vom Frankenstein-Monster zurück zum historischen Widukind II.

Dieser Widukind muss auch für damalige Verhältnisse ein arger Unhold gewesen sein! So erschlug Widukind II. höchstselbst anno 1156 den Stadtgrafen von Höxter, als der im Schatten der Kirche eine Gerichtsverhandlung leitete. Ein Motiv für die Bluttat ist nicht überliefert. Mag sein, dass Widukind II. sich selbst als Inhaber der Gerichtsbarkeit sah.

Foto 4: St. Kilian zu Höxter
Anno 1152 attackierte Widukind II von Schwalenberg die Stadt Höxter und nahm Geiseln. So erpresste er Lösegelder. Im gleichen Jahr – im Januar 1152 – verübte Widukind II mit seinen Mannen einen Überfall auf den Friedhof von Corvey.

Er plünderte die geheiligte Stätte, raubte sakrale Kultobjekte. Unterstützt wurde Widukind II. von Schwalenberg durch seinen nicht minder gewalttätigen Bruder Volkwin. Das Bruderpaar begnügte sich nicht mit dem Friedhof. 

Das Duo überfiel mit seiner Bande die Stadt Höxter. Vielleicht um bei künftigen Raubzügen leichter in die Stadt einfallen zu können… zerstörten die Kriegsknechte die Stadtmauer. Jetzt hatten sie jederzeit mühelos Zugriff auf die alte Weserstadt. Planten sie weitere Angriffe, weitere Raubzüge? Mag sein... Heutige Herrscher plündern in der Regel diskreter und effektiver... Ein schlechtes Gewissen hatten sie dabei wohl nicht. Wähnten sie sich gar im Recht? Waren die Überfälle auch ein Politikum, eine Machtdemonstration: Das gehört zu unserem Herrschaftsbereich, da können wir schalten und walten wie wir wollen?

Schließlich geschah etwas aus heutiger Sicht Befremdliches. Es streikten die Mönche. Sie nahmen Kruzifixe, Heiligenbilder und Reliquien aus den Kapellen und Kirchen, verstreckten alles. Kostbare Sakralobjekte wurden vergraben. Gottesdienste fanden nicht mehr statt. Erst wenn Widukind II. und sein Bruder Volkwin von der weltlichen Obrigkeit abgestraft würden, erst dann wollten sie wieder Gottesdienste abhalten. Stumm blieb das Geläut der Kirchenglocken. Die Klage wurde bis vor Friedrich Barbarossa getragen. Friedrich soll den verängstigten Mönchen eine strenge Bestrafung der beiden Schwalenberger zugesichert haben. Würde es zu einem Prozess, zu einer Verurteilung kommen? Und stand der heute mythologisch verklärte Barbaraossa wirklich auf Seiten der Opfer Widukinds und seines Bruders?

Die Bürger von Höxter bauten ihre Stadtmauer wieder auf. Zu weiteren Überfällen kam es nicht.  Friedrich I. forderte die Geistlichkeit auf, die Gottesdienste wieder regelmäßig abzuhalten. Wurde den gewalttätigen Brüdern von der Schwalenburg die Exkommunikation angedroht? Kam es gar – auch wenn es keine entsprechenden Urkunden (mehr?)  gibt – zu einer Verurteilung von Widukind II. und Volkwin? Denkbar, wenn auch nicht beweisbar, ist es! Womöglich wurde Widukind sogar von einem weltlichen Gericht verurteilt und das Urteil »Verbannung« ausgesprochen. Mag sein, dass zwar ein entsprechendes Urteil gefällt, aber gleich wieder ausgesetzt wurde. Mitglieder der höheren Stände standen vor Gericht eben nicht in Augenhöhe mit einfachen Bürgern. Räuber wurden eben nicht immer wie Räuber behandelt. Im Fall des Widukind II. ist es sogar möglich, dass seine Untaten von übergeordneter Stelle zunächst geduldet wurden.  Gab der Streik der Mönche den entscheidenden Ausschlag? Fürchtete die weltliche Obrigkeit den Aufstand der Bürger von Höxter  gemeinsam mit den Mönchen von Höxter?

Durch diplomatische Verhandlungen mag erreicht worden sein, dass Widukind und Bruder Volkwin die Schmach einer öffentlichen Verurteilung erspart blieb. Und wenn es zu einer Verurteilung kam, dann ohne Öffentlichkeit. Akzeptierte Widukind II. einen diskreten Richterspruch, der ihn zu einer Entschädigung der Kirche verpflichtete? Gab die Kirche Ruhe, weil Widukind II das Kloster »tom Roden« stiftete? War das Abkommen so geheim, dass Widukind II. in Urkunden nicht als Stifter von »tom Roden« genannt wurde?

Der Streik der Mönche jedenfalls wurde beendet. Die vergrabenen Kruzifixe, Heiligenbilder, Reliquien und Kelche kehrten zurück in die Gotteshäuser. Die Glocken erklangen wieder und riefen die Bürgerinnen und Bürger zum Gottesdienst.

Foto 5: »Unterwelt« von »tom Roden«
Fakt ist: Für »tom Roden« müssen erhebliche Summen aufgebracht worden sein, über die Kloster Corvey damals nicht verfügte. Corvey hatte im zwölften Jahrhundert finanzielle Probleme. Und hätten ausreichend Mittel zur Verfügung gestanden, wären die wohl für Kloster Corvey selbst aufgewendet worden und nicht wenige hundert Meter entfernt in den Bau eines zweiten Klosters gesteckt worden.

Ein Besuch der Klosterruinen »tom Roden« lohnt sich. Leicht zu finden ist das Kleinod aber nicht unbedingt.  Fahren Sie von Höxter aus über die »Corveyer Allee« nach Corvey. Von Corvey geht es weiter, vorbei am großen Parkplatz. Nach gut einem halben Kilometer folgen Sie – links abbiegend – der Straße in das Industriegebiet »Zur Lüre«. 

Die Klosterruine ist ausgeschildert, die »Hinweistafeln« dürften aber gern etwas größer sein. Als ich zum ersten Mal – per Taxi – vor Ort war, musste ich mich durchfragen. Aber wenn Sie erst einmal im Industriegebiet sind, haben Sie Ihr Ziel schon fast erreicht. Über einen guten, ja festen Feldweg geht es dann direkt zu den Ruinen.

Die Anlage »Klosterruine tom Roden« macht einen überschaubaren Eindruck. Die Mauern sind vom Weg aus zu sehen, von Feldern durch eine Hecke getrennt. Von »tom Roden« aus sehen Sie den Kirchturm von »St. Johannes Baptist«, Lüchtringen. Das Gotteshaus wurde 1901 und 1902 errichtet, an Stelle des Vorgängerbaus aus dem Jahr 1698. Nach einem Blitzeinschlag brannte damals die barocke Kirche ab. Auch das barocke Gotteshaus hatte schon einen noch älteren Vorgänger: Die erste Kirche Lüchtringens  war bereits mehrere Jahrhunderte alt, als »tom Roden« entstand. Sie wurde vor rund 1100 Jahren geweiht.

Es lohnt sich, »tom Roden« zu besuchen. Statten Sie aber auch dem früheren Kloster, Schloss Corvey einen Besuch ab! Nehmen Sie sich unbedingt Zeit für die mythologischen Malereien im Westwerk. Sie wurden aufwändig restauriert, lassen der Fantasie sehr viel Spielraum!

Fotos 6 und 7: Mythologie im Kloster Corvey

Da wurden auch Monster verewigt, im Kampf mit mutigen Recken. Welche »Drachentöter« da zugange sind, welche Fabelwesen da besiegt werden, wir wissen es nicht wirklich und sind auf Vermutungen angewiesen. Wesen aus heidnischen Sagenwelten… in einem christlichen Gotteshaus? Wenn man nur die leider stark beschädigten, liebevoll restaurierten Darstellungen heute noch wie ein Buch lesen könnte!

Am 19. Januar 1874 verstarb Hoffmann von Fallersleben in Corvey. Sie finden sein Grab auf dem kleinen Friedhof neben der Abteikirche. Eine schlichte Portraitbüste des Dichters, auch manchen Deutschen noch als Verfasser des »Deutschlandliedes« bekannt, wurde 1911 angebracht. Gestiftet hat sie Franz Hoffmann-Fallersleben, Sohn des Dichters. Hoffmann von Fallersleben wurde neben seiner bereits am 27. Oktober 1860 verstorbenen Frau Ida beigesetzt.

Foto 8: Grab-Denkmal von Fallersleben.

Hinweis

Lesen Sie bitte auch Folgen 256 »Odysseus und das Monster… in der Kirche«
und 257»Delphine, Skylla und Odysseus« dieser Serie!

Literatur

Foto 9: Kirche von Lüchtringen, von »tom Roden« gesehen

Claussen, Hilde: »Die Klosterkirche Corvey/ Wandmalerei und Stuck aus
karolingischer Zeit«, Mainz 2007 

Garbe, Burckhard: »Die schönsten Sagen zwischen Harz und Weser«, Kassel
2002 (Die Lilie im Kloster zu Corvey, S.43-47)

Höxtersches Jahrbuch: »Klöster um Höxter/ tom Roden, Brenkhausen, Corvey«, Höxter 1981

Matthes, Walther: »Corvey und die Externsteine/ Schicksal eines
vorchristlichen Heiligtums in karolingischer Zeit«, Stuttgart 1982

Plitek, Karl Heinz (Redaktion): »Kloster tom Roden. Eine archäologische
Entdeckung in Westfalen. Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes und
des Westfälischen Museums für Archäologie«, Münster 1982

Zu den Fotos....

Fotos 1 und 2: »tom Roden«: Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Schwalenburg, historische Aufnahme, Foto Archiv Langbein 
Foto 4: St. Kilian, Höxter, Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: »tom Roden«, Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 6 und 7: Schloss Corvey, Westwerk, Fotos Walter-Jörg Langbein 
Foto 8: Grab-Denkmal von Fallersleben. Foto wikicommons/ Kliojünger
Foto 9: Kirche von Lüchtringen, von »tom Roden« gesehen. Foto Walter-Jörg Langbein
303 »Von der Kreuzigung zum Teufelsarsch«,
Teil 303 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 08.11.2015


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