Sonntag, 29. Januar 2017

367 »Ottilie und die ›Drachen‹ von Freiburg«


Teil  367 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2:  Freiburger Münster, links 1898, rechts 1930

Ende Oktober 2016 war ich in Freiburg im Breisgau und nahm am One-Day-Meeting der dänikenschen »A.A.S.« teil. Gern hätte ich einen rätselhaften Wallfahrtsort besucht, doch das ließ meine Zeit nicht zu. Immerhin konnte ich das Münster besuchen, wo ich recht Geheimnisvolles entdeckte.

Von Bad Pyrmont nach Freiburg. Die Heilige Ottilie vom Pyrmonter »Augenbrunnen« wirkt dank Moosbewuchs auf dem Haupt mysteriös. Wie eine fromme Legende mutet die Vita der frommen Frau an. Äbtissin Ottilie (* um 660 im Elsass oder Burgund; † 720) wurde – so überliefert es eine Biographie aus dem 10. Jahrhundert – als Odilia auf der Hohenburg, Gemeinde Obernai (1) geboren. Die Tochter von Herzig Eticho und seiner Gemahlin Bersinda kam blind zur Welt. Ihr Vater wollte sie, um ihr ein Leben in Finsternis zu ersparen, töten lassen. Die Mutter rettete dem Mädchen das Leben, indem sie ihr Töchterchen in ein Kloster gab. Es dürfte sich um das Kloster von Baume-les-Dames östlich von Besançon gehandelt haben. Kurios: Erst im Alter von zwölf Jahren wurde Ottilie getauft und wurde plötzlich sehend. Das Mädchen kehrte ins Elternhaus zurück, wo ihr der eigene Vater nach dem Leben trachtete. Dem entsetzten Mädchen gelang die Flucht – in eine Höhle. Im Musbachtal bei Freiburg im Breisgau, aber auch in Arlesheim, südlich von Basel, streitet man sich in frommer Weise, wer denn nun die richtige Höhle zum Ziel von Pilgerreisen gemacht hat. Es ist unklar, in welcher Höhle sich das Mädchen wo versteckte. Bis zum heutigen Tag wird der Heiligen Ottilie in beiden Höhlen – im Raum Freiburg wie bei Basel – gehuldigt, und das schon seit mehr als einem halben Jahrtausend.

Fotos 3 und 4: Blick ins Freiburger Münster, links 1901, rechts 2016

Anders als bei vielen anderen Heiligen endete Ottilie nicht als Märtyrerin. Ihre Biographen vermelden ein Happy End. Nach der Versöhnung mit ihrem Vater, der seine Mordpläne schließlich aufgab und ihr Besitztum übertrug, konnte sie anno 690 auf  dem später nach ihr benannten Ottilienberg ein Kloster gründen. Auch das Kloster Niedermünster am Fuße des Odilienberges geht auf Ottilie zurück. Anno 720 starb sie und fand auf dem Odilienberg ihre letzte Ruhestätte.

Von der Heiligen Ottilie zum Münster von Freiburg. Von meinem Hotel aus war das riesige Gotteshaus in wenigen Minuten zu erreichen. Leider bot es nicht den schönsten Anblick, Teile waren hinter Gerüsten verborgen. Aber – keine Frage: Damit herrliche Gotteshäuser auch in ferner Zukunft noch besucht und bewundert werden können, müssen sie hin und wieder renoviert werden. Am 29. Oktober herrschte Hochbetrieb um das Münster. Marktbuden lockten wahre Volksmassen an. Gemüse wurde feilgeboten, ein Cafe lockte, Imbissbuden verbreiteten Düfte und Gerüche. Da und dort kam Streit auf. Ein müder Fahrradfahrer schloss sein Zweirad so ungeschickt an einen Laternenpfahl, dass der schmale »Weg« zu einem beeindruckenden Brunnen fast völlig versperrt war. »Vorsicht! Vorsicht!«, zischte ihn ein Mann zu, der seinen Kinderwagen am Fahrrad vorbei schieben wollte.

Fotos 5 und 6: Wer schaut da aus luftiger Höhe?

Manchmal kostete es einige Energie und viel Geduld, um bis zum Münster vorzudringen. Und auf das ganze Geschehen blickten aus luftiger Höhe steinerne Fabelwesen herab, manche gelangweilt, manche durchaus bedrohlich. Original christlich sind diese Kreaturen nicht. Reinhard Habeck schreibt in seinem vorzüglichen neuen Werk »Überirdische Rätsel« im Schlusswort (2): »Jede Leserin, jeder Leser ist herzlich dazu eingeladen, selbst den Pilgerstab in die Hand zu nehmen. Wer die überirdische Spurensuche fortsetzen möchte, dem bieten sich – oft direkt vor unserer Haustüre – unerschöpfliche Möglichkeiten. Ein dichtes Netz an Wanderwegen führt über Naturwunder zu berühmten und weniger bekannten Wallfahrtsstätten. Über die Routen gelangen wir zu vorchristlichen Sakralstätten, wo die Verbindung zum ›Heidentum‹ oft unübersehbar ist.« Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein lohnendes Reiseziel suchen, sollte das Freiburger Münster ganz oben auf Ihrer Liste stehen!


Fotos 7 und 8: Geflügelte Fabelwesen aus Stein

Es lohnt sich – Empfehlung: möglichst nicht zum Wochenende – um das Freiburger Münster herum zu gehen. Heben Sie den Blick und Sie werden eine Vielzahl von Mischwesen sehen, Kombinationen aus Mensch und Tier, Teuflisches und Animalisches. Da gibt es »Teufel«, die das Maul weit aufreißen. Andere strecken ihre Zungen raus. Unklar ist, ob einige von ihnen Flügel am Rücken haben. Das würde dem Bild des Teufels entsprechen, der als Luzifer von Gott aus dem Himmel geworfen und zur Erde geschleudert wurde. Solche Teufel wären gefallene Engel und trügen mit Fug und Recht das Attribut der Himmlischen, nämlich Flügel. Oder handelt es sich um beim Flug flatternde Umhänge, was wir fälschlich als »Flügel« interpretieren?

Einigen der steinernen Wesen fehlen Gliedmaßen, andere sind komplett. Manche Einzelheiten kann man nicht mehr genau erkennen, weil der Zahn der Zeit intensiv an den mysteriösen sakralen Kunstwerken genagt hat. Da und dort erkennt man Füße und Hände, andere der Schreckensgestalten scheinen verstümmelte Hände zu haben. Oder sind es Krallen von Monsterwesen?

Immer wieder tauchen Mischwesen auf. Da sitzt zum Beispiel das Haupt eines Säugetieres, etwa eines Rindes, auf dem Leib eines gefiederten Wesens, eines riesenhaften Greifvogels. Bei anderen Kombinationen dominieren menschliche Attribute. Das sieht dann so aus, als ob beispielsweise ein geflügeltes Wesen mit einem Menschen gekreuzt worden wäre. Da liegen Flügel eng am Leib, da wirkt die Nase im menschlichen Antlitz mit überproportional großen Ohren wie ein scharfer Schnabel. Füße, Beine und Unterleib bis zur Brust freilich sind eindeutig menschlich.

Fotos 9 und 10: Drachen - oder was?

Ich hab diese Wesen am Freiburger Münster am Morgen, gegen Mittag und am Abend fotografiert. Je intensiver ich diese faszinierenden Skulpturen durch mein 400-Millimeter-Teleobjektiv studierte, desto mehr Fragen drängten sich mir auf und desto mehr Zweifel kamen mir. Waren das wirklich alles »Wasserspeier«, wie redegewandte Führer behaupten? Befanden sich die steinernen Skulpturen wirklich an Ort und Stelle oder hat man sie in jüngerer Vergangenheit mehr oder minder dekorativ angebracht?

Manche dieser Skulpturen in luftiger Höhe erinnern an stark entfremdete Löwen, wieder andere an Drachen. Mir kommt die arabische Übersetzung äthiopischen Nationalepos Kebra Nagast in den Sinn. Sir Ernest Alfred Thompson Wallis Budge (1857-1934) war ein englischer Ägyptologe, Philologe und Orientalist. Er arbeitete für das angesehene »British Museum«, London, und publizierte eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Werken. Wallis Budge übersetzte die arabische Version des Kebra Nagast ins Englische (3). Gleich zu Beginn (4) wird vermeldet, dass König Salomo beim Bau seines Tempels erhebliche Probleme hatte.

So gelang es seinen Spezialisten nicht, die riesigen Steinmonster zu gewaltigen Bausteinen zurecht zu sägen. Ihre Werkzeuge zerbrachen beim Versuchen. Erst mit Hilfe einer List wurde das möglich. Ein ausgewachsener Drache musste her. Also lockte man einen an und brachte ihn dazu, ein wundersames Werkzeug herbei zu schaffen. Erst dann konnten mächtige Steine präzise zu großen Bausteinen aufgespalten werden.

Foto 11: Original aus einem Kebra-Manuskript

Drachenartige Wesen wurden auch, in Stein gehauen, an den Außenwänden des Münsters zu Freiburg angebracht. Sie könnten aus der gleichen Zeit stammen wie die arabische Fassung des Kebra Negest. Das ist vermutlich ein Zufall. Manche Theologen machen sie schnell zu Schreckgespenstern, die den Teufel und böse Geister von einem Gotteshaus fernhalten sollen. Aber ist das wirklich die Funktion solcher Darstellungen? Ich habe da meine Zweifel. Ich glaube, sie stammen aus sehr viel älteren Zeiten als wir glauben. Sie sind viel älter als christliche Pseudosymbolik!


Reinhard Habeck schreibt (5): »In allen Weltreligionen gibt es Kultsteine mit oft ungeklärter Herkunft. Sie verbindet eine Gemeinsamkeit: Bereits in prähistorischen Zeiten hatten sie eine besondere Bedeutung und besaßen angeblich wundersame Heilkräfte. Im Christentum finden sich viele Zeugnisse dafür, dass erstarrte Steinwunder einst auf heidnischen Kultplätzen gestanden haben, lange bevor sie eine neue Deutung erhielten.«

Foto 12: Fisch-Reptilien-Monster am Freiburger Münster

Fußnoten

1) Département Bas-Rhin in der Region Elsass. Deutscher Name: Oberehnheim
2) Habeck, Reinhard:  »Überirdische Rätsel/ Entdeckungsreisen zu wundersamen Orten«, Wien, November 2016, Seite 195
3) Budge, Wallis: »The Queen of Sheba and her only Son Menyelek«, London, Liverpool und Boston 1922, S. XXXIX-LVI
4) ebenda, S. XXXIX-S. XLI
5) Habeck, Reinhard:  »Überirdische Rätsel/ Entdeckungsreisen zu wundersamen Orten«, Wien, November 2016, S. 44 oben, direkt unter der Zwischenüberschrift »Ein außergewöhnlicher Ort«

Foto 13: Mensch und Monster
Zu den Fotos
Fotos 1 und 2:  Freiburger Münster, links 1898, rechts 1930. Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 3 und 4: Blick ins Freiburger Münster, links 1901, rechts 2016. Foto 3 Archiv Walter-Jörg Langbein. Foto 4: Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6: Wer schaut da aus luftiger Höhe? Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 7 und 8: Geflügelte Favelwesen aus Stein. Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 9 und 10: Drachen - oder was? Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Original aus einem Kebra-Manuskript. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Fisch-Reptilien-Monster am Freiburger Münster. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Mensch und Monster. Foto Walter-Jörg Langbein

368 »Faust und Alexander der Große fahren in den Himmel«,
Teil  368 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein,

erscheint am 05.02.2017

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Sonntag, 22. Januar 2017

366 »Ein Ganesha und die Herrin vom See«

Teil  366 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein   
                    

Foto 1: Der »Hyllige Born« von Bad Pyrmont

Vom großen Parkplatz zur Bombergallee ist es nicht weit. Es ist Herbst, die Blätter fallen. Emsige Ladeninhaber setzen massiv lautstarke Gebläse ein, um das bunte Laub möglichst weit weg zu pusten. Auf meinem Weg zum Brunnenplatz begegnet mir unerwartet ein »alter Bekannter«, ein steinerner Ganesha. Der indische Gott mit dem mächtigen Elefantenkopf auf dem Menschenleib soll Glück bringen, heißt es. Eine Holländerin fotografiert das steinerne Götterbildnis mit ihrem Smartphone aus allen Richtungen. »Ich vermisse die Maus …«, murmelt sie vor sich hin. Das Tierchen ist in Indien häufig beim göttlichen Ganesha zu sehen, als sein Reittier. 

Foto 2: Der Ganesha von Pyrmont
»Dafür hat er aber zwei vollständige Zähne!«, mit diesen Worten versuche ich der Dame meine Kenntnisse in Sachen Ganesha-Mythologie zu demonstrieren. Sie lacht. Sie kennt die uralte Überlieferung. Einst soll sich Ganesha einmal den Bauch vollgeschlagen haben. Er stolperte über eine Ratte, das Essen fiel dem Gottessohn aus dem Leib. Mit einer Schlange, die sich Ganesha um den Leib schlang, schloss er die klaffende Wunde. Der Mond fand das Missgeschick zum Lachen, zog sich so Ganeshas Zorn zu. Wütend riss sich Ganesha einen Zahn aus und schleuderte ihn auf den Mond, stieß dabei einen bösen Fluch aus. Der Mond wurde dunkel. Auf Bitten der Götter nahm Ganesha seinen Fluch teilweise zurück. Seither, so der Mythos, gibt es die verschiedenen Mondphasen, der schwindet und wieder wächst. In Indien habe ich viele Ganesha-Darstellungen gesehen, die das göttliche Mischwesen mit einem abgebrochenen Zahn zeigen. Manche zeigen Ganesha auch nur mit einem Zahn, zur Erinnerung an die uralte Überlieferung vom schwindenden und wieder wachsenden Mond.

Foto 3: Die Bombergallee
Ich gehe die Bombergallee weiter, biege schließlich in die Brunnenstraße ein. Am »Krabbeltisch« einer Buchhandlung mache ich halt. Ich entdecke ein altes Buch, 1920 in Bad Pyrmont erschienen: »Altes und Neues vom hylligen Born«, herausgegeben von Hugo H. Bickhardt (1). Auf Seiten 93 und 94 stoße ich auf »Die alten Brunnengesetze« aus dem Jahr 1556.

Anno 1556 muss es einen großen Andrang in Richtung Bad Pyrmont gegeben haben. Wunderberichte lockten damals die Menschen zu Tausenden in den heutigen Kurort. Hieß es doch damals, der Genuss des Pyrmonter Wassers lasse Taube wieder hören, mache Blinde wieder sehen und Lahme wieder mobil. In den Jahren 1556 und 1557 sollen gut 10.000 Heilsuchende aus ganz Europa nach Bad Pyrmont gekommen sein. So sah man sich gezwungen, spezielle Brunnengesetze zu erlassen.

Ausdrücklich heißt es da, dass wer auch immer »diesen Fontain« besuche, »diesem Brunnen« auf keinen Fall »göttliche Ehr beweisen« dürfe. Ausdrücklich wird untersagt, den Brunnen »zu einem Abgott« zu machen. Diese Verbote machen deutlich, dass noch im 16. Jahrhundert, also nur zehn Jahre nach Martin Luthers Tod, von christlicher Seite heidnische Verehrung des Pyrmonter Brunnens zumindest befürchtet wurde. Ich glaube sogar, dass damals kultische Handlungen vollzogen wurden, die der christlichen Obrigkeit ein Graus waren. Alte Quellen waren ja zu vorchristlich-heidnischen Zeiten Zentren der Verehrung meist weiblicher Gottheiten.

Foto 4: Der »Brodelbrunnen«

Ein Kurort, so wie wir uns das heute vielleicht vorstellen, war Bad Pyrmont damals noch nicht. Wo heute Kurgäste entlang der Brunnenstraße flanieren, gab es damals nur eine morastige Wiese. Die Kranken, angelockt durch Berichte über wundersame Heilungen, hausten in Zelten. Wohlhabende logierten im benachbarten Ort Lügde. Reger Kutschenverkehr verband die Unterkünfte der Kranken mit der zusehends schlammiger werdenden Wiese. Erst 1863 wurde die »Brodelquelle« neu gefasst. Bei Ausschachtungen machte man eine sensationelle Entdeckung, wie Professor Dr. Schuchhardt in seiner Abhandlung »Archäologisches um Pyrmont« vermeldet (2): »Berühmt ist der große Pyrmonter Quellfund, der zeigt, daß schon in römischer Zeit die Heilquelle verehrt und mit Opfergaben bedacht wurde. … Der Pyrmonter Quelle hat man hauptsächlich bronzene Fibeln gespendet. Deren sind im Laufe der Zeit 200 Stück zutage gekommen, nur wenige gehören der vorrömischen sogenannten Latène-Zeit an, die meisten sind römische Ware, einfache Dreharbeiten, zuweilen mit Tierbildern verziert und hier und da versilbert oder vergoldet.«

Foto 5: Interessantes über den »Born«.
Nicht ohne Stolz vermeldet Tourismus GmbH (3): » Die Geschichte der Stadt ist natürlich eng verbunden mit den Quellen, die aus der Erde im Pyrmonter Tal sprudeln. Schon vor über 2000 Jahren waren die Quellen bekannt. Davon zeugt der sogenannte Brunnenfund, welcher heute im Museum im Schloss zu besichtigen ist. Damals warfen die Germanen bronzene Fibeln (Gewandnadeln) in den Brodelbrunnen, als Opfergabe an ihre Quellgötter. Auch eine bronzene Schöpfkelle wurde gefunden.«

Sollte anno 1556  also altes heidnisches Brauchtum verboten worden, das schon sehr lange kultiviert worden war? Auf der Internetseite »Das Tal der sprudelnden Quellen« (4) lesen wir: »Der Brunnenplatz ist das Zentrum und der Ursprung Bad Pyrmonts. Hier sprudelten die Quellen schon lange bevor es den Namen Pyrmont gab und vor der Entstehung des Platzes. Dass Quellen auf dem Brunnenplatz schon vor 2000 Jahren sprudelten und verehrt wurden, konnte im Jahre 1863 bewiesen werden. Als der Hyllige Born und der Brodelbrunnen neu gefasst wurden, entdeckte man in der Tiefe von etwa 4 m unter Gelände im Moorboden mehrere gut konservierte, umgestürzte Bäume. An den Wurzeln einer Linde wurden etwa 320 Opferstücke gefunden: Germanische Fibeln, Schnallen, Broschen, eine bronzene Schöpfkelle, römische Münzen und weitere Gegenstände.«

Foto 6: Heilsames Quellwasser wird gereicht.

Offenbar gab es schon vor zwei Jahrtausenden dort, wo heute noch der inzwischen gezähmte Brodelbrunnen blubbert ein altes Heiligtum. Wie mag es ausgesehen haben? Plätscherte eine Quelle im Schatten einer Linde? Legten die Heilsuchenden vor zwei Jahrtausenden ihre Kleidung ab, um im Quellwasser zu baden? Oder übergossen sie sich mit Quellwasser? Neben Opfergaben wie Fibeln und Münzen fand man 1863auch eine kostbare bronzene, außen emaillierte Schöpfkelle aus römischer Zeit. Diese Erinnerungsstücke an vergessene Quellkulte von Bad Pyrmont wurden anno 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt. Heute sind sie im Pyrmonter Museum im Schloss zu sehen (5).


Fotos 7 und 8: Die Heilige Ottilie

Die »Heilige Ottilie« ist wohl eine vorchristliche Quellgöttin in christlichem Gewand. Unweit vom »Hylligen Born« hat sie einen eigenen Brunnen. Eine alte Sage (6) erinnert an eine heidnische Quellgöttin. Einst, so heißt es, habe die Hauptquelle von Bad Pyrmont, der »Hyllige Born«, einen See gespeist. Auf dem Grund des Gewässers hatte die »Wasserfei« (Wasserfee?) ihr prächtiges Schloss. Die wunderschöne Frau – sie hatte herrlich schwarzes langes Haar wie Schneewittchen – bezauberte Graf Dietrich von Pyrmont mit ihrem Harfenspiel und lieblichen Gesang. Dreimal drei Tage durfte der Graf bei der »Herrin vom See« bleiben, dann musste er wieder in die Welt der Menschen zurückkehren.  Dietrich von Pyrmont  war der Schönen vom Kristallpalast verfallen. 


Foto 9: Im Museum im Schloss werden die Opfergaben aufbewahrt

Nur einen Tag hielt er es unter seinesgleichen aus, dann stieg er wieder für neun Tage hinab auf den Grund des Sees. Auf diese Weise, so erzählte mir eine altehrwürdige Pyrmonterin, wäre der Adelige auf alle Zeiten jung geblieben. Bei einem Turnier aber zerriss die Korallenkette, die ihm seine Geliebte vom Grund des Sees geschenkt hatte. Somit war der Bann gebrochen, Dietrich von Pyrmont verliebte sich in eine Königstochter. Bald wurde Hochzeit gefeiert. Als ungebetener Gast erschien, so weiß es die Sage, die »Herrin des Sees«, freilich konnte sie nur Dietrich von Pyrmont sehen. Sie umschlang ihn mit nassen, kalten Armen so heftig, dass dem Armen das Herz stillstand. Tot sank er nieder und sein Leichnam löste sich in Nichts auf. Er verschwand vor den Augen der Hochzeitsgesellschaft und soll seither im Kristallpalast der »Wasserfei« ruhen.


Foto 10: Pyrmont hat Geheimnisse
Dietrich von Pyrmont soll im 12. Jahrhundert gelebt haben. Die Sage von seiner heißen Liebschaft mit der »Wasserfei« freilich geht auf viel weiter zurückliegende Zeiten zurück, als man an Göttinnen glaubte, die in heiligen Brunnen lebten. So schreibt Joachim Gafres in seinem Buch »Bad Pyrmont«  (7): »Und gerade der Name ›Hylliger Born‹ läßt vermuten, daß er im Volksmund aus heidnischer Zeit herübergerettet worden ist, denn das abendländische Christentum jener Zeit kennt keine heiligen Quellen, es sei denn, daß heidnisches Brauchtum christianisiert worden war.«

Quellen waren – etwa für die Germanen – besonders heilig, galten sie doch als (8) »Verbindung zwischen Unter- und Oberwelt«. Und als solche waren sie den christlichen Missionaren ein Ärgernis. So kam bei der Ausgrabung des Brodelbrunnens der Verdacht auf, dass man einst versucht hat, die Quelle zu verstopfen. Für diese Vermutung sprechen sieben verschieden dicke Torf-, Lehm- und Tonschichten direkt über der Quelle. Dieser »gewölbte Aufbau … hat … keine natürliche Parallele und … kann auch nicht … als natürliche Bildung erklärt werden« (9). Hauptverdächtiger ist Karl der Große, der im Winter 784/785 vor Ort war. Wurde damals nicht nur das heidnische Heiligtum der Externsteine, sondern auch eine heidnische Kultstätte in Bad Pyrmont gezielt zerstört? Wenn wirklich bewusst versucht wurde, die heiligen Quellen zum Versiegen zu bringen, von großem Erfolg gekrönt waren diese Bemühungen nicht. Bereits anno 889 – so ist der Arnulf-Urkunde zu entnehmen – brodelte die Quelle wieder.


Foto 11: Plakette am Brodelbrunnen

Fußnoten
1) Bickhardt, Hugo H. (Hrsg.): »Altes und Neues vom hylligen Born«, Bad Pyrmont, im Frühjahr 1920
2) ebenda, S. 66-68, Zitat S. 66
3) https://www.badpyrmont.de/historisches-bad-pyrmont/stadtgeschichte/
4) https://www.badpyrmont.de/therapien-2/heilquellen/
5) Museum Bad Pyrmont, Schlossstraße 13, 31812 Bad Pyrmont. Öffnungszeiten: Täglich, außer montags von 10-17 Uhr. Telefon (0 52 81) 60 67 71. E-Mail: [email protected]     
6) Frank Winkelmann, Frank: »Die schwarzen Führer, Hannover - Südliches Niedersachsen«, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 18 – 20
7) Gafres, Joachim: »Bad Pyrmont/ Ursprung – Vergangenheit – Gegenwart«, Verlag der Buchhandlung Gebr. Jacke, Bad Pyrmont 1969, S. 15, 5.-1. Zeile von unten
8) ebenda, Seite 13, Zeilen 7 und 6 von oben
9) ebenda, S. 14

Zu den Fotos
Fotos 12 und 13: Wasser vom Brunnen der Ottilie (Augenbrunnen)
Foto 1: Der »Hylige Born« von Bad Pyrmont. Foto W-J.Langbein
Foto 2: Der Ganesha von Bad Pyrmont.  
Foto W-J.Langbein
Foto 3: Die Bombergallee, von der Brunnenstraße aus gesehen. Foto W-J.Langbein
Foto 4: Der »Brodelbrunnen«. Foto W-J.Langbein
Foto 5: Interessantes über den »Born«. Foto W-J.Langbein
Foto 6: Heilsames Quellwasser wird gereicht. Foto W-J.Langbein
Fotos 7 und 8: Die Heilige Ottilie. Fotos W-J.Langbein
Foto 9: Im Museum im Schloss werden die Opfergaben aufbewahrt. Foto W-J.Langbein
Foto 10: Pyrmont hat Geheimnisse. Foto W-J.Langbein
Foto 11: Plakette am Brodelbrunnen. Foto W-J.Langbein
Fotos 12 und 13: Wasser vom Brunnen der Ottilie (Augenbrunnen). Fotos W-J.Langbein

367 »Ottilie und die ›Drachen‹ von Freiburg«,
Teil  367 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 29.01.2017


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Montag, 16. Januar 2017

Maria Schell: Nur die Liebe zählt – Teil 2

Maria Schell im Interview mit Walter-Jörg Langbein

> Fortsetzung von Teil 1

Foto 1: Maria Schells Memoiren
WJL: Müssen Sie sich als Schauspielerin mit einer Rolle identifizieren können?
Maria Schell: Sie meinen moralisch?
WJL: Ja.
Maria Schell: Ich muss eine Rolle verstehen können. Nehmen wir zum Beispiel »Die alte Dame« von Dürrenmatt. Ich musste mir einen Weg suchen, musste feststellen, in welcher Ecke meines Herzens ich so sein könnte. Ich habe zur »alten Dame« von Dürrenmatt einen anderen Schlüssel als meine Kolleginnen gefunden, die diese Rolle auf den Hass allein aufgebaut haben. Mein persönlicher Zugang zur Rolle war die Verletzung des Weiblichen. Da ist eine Frau, am Rande der Weiblichkeit, die keine Kinder mehr bekommen kann, eine Frau, die sich total an dem Mann rächt, der ihr das Kind genommen hat.

WJL: Was für Filmangebote würden Sie ablehnen?
Maria Schell: Solche mit sinnloser Brutalität, mit Gewalt, die einfach unnötig ist, die nicht gezeigt werden bräuchte. Es sei denn, die Gewalt zeigt einen Weg auf, der für ein Stück, ein Theaterstück oder einen Film, unerlässlich ist. Ich würde auch an keiner Pornoproduktion mitwirken, in solch einem Film möchte ich nicht drinnen sein, das sind zweitrangige Instinkte des Menschen, die ich nicht fördern möchte.

WJL: Wie stehen Sie zu Ihrer Rolle im Superman-Film? Hat Ihnen der Film gefallen? Sie waren ja die Mutter Supermans.
Maria Schell: Gefallen? Gar nicht!

Foto 2: Maria Schell spielte Suprmans Mutter
WJL: Warum haben Sie dann mitgewirkt?
Maria Schell: Ich habe den Film gemacht, weil mir sehr viel Geld gegeben wurde. Die Filmleute wollten so viele berühmte Namen wie nur möglich und haben dafür viel Geld bezahlt. Ich nenne solche Filme Telefonfilme. Alle zwei Jahre mache ich einen solchen Telefonfilm. Wissen Sie, ich vertelefoniere viel Geld mit meinen Kindern. Wenn ich dann einen riesigen Batzen Geld bekomme, für zwei, drei Tage Dreharbeit, für gar nichts, dann nehme ich solch ein Angebot an, zahle das Geld auf ein besonderes Konto und bezahle dann davon die vielen teuren Telefonate.
Aber es war natürlich eine große Freude mit Marlon Brando zusammenzuarbeiten. So klein die Szene auch war, der schauspielerische Austausch mit Marlon Brando war sehr faszinierend.

WJL: Sie beschreiben in Ihrem Buch »Die Kostbarkeit des Augenblicks« eine abenteuerliche, wahrhaft halsbrecherische Autofahrt mit Marlon Brando. War die wirklich so dramatisch, wie Sie das beschreiben?
Maria Schell: Aber natürlich. Ich gebe im Buch dieser Episode ja eine humorvolle Note.

WJL: Frau Schell, welche Filmpartner waren besonders wichtig für Sie?
Maria Schell: Viele, wirklich viele.

WJL: Können Sie einige Namen nennen?
Maria Schell: Gary Cooper, der war unheimlich wichtig; auch Yul Brünner, Curd Jürgens, Paul Scofield, mit dem ich »1919« drehte.

Foto 3: Filmpartner Yul Brünner
WJL: Kann der Film Ihrer Meinung nach eine positive Wirkung auf die Zuschauer haben?
Maria Schell: Aber unbedingt. Nur leider gehen nicht mehr so viele Menschen ins Kino wie früher. In Frankreich, da gibt es am Donnerstag, Freitag, Samstag und vielleicht am Sonntag keine Kinofilme im Fernsehprogramm. Als Folge strömen die Menschen wieder ins Kino. Es wäre fantastisch, wenn so etwas auch bei uns möglich wäre, aber die Fernsehmenschen sind doch froh, wenn sie die alten Filme zeigen können.

WJL: Sehen Sie sich Ihre alten Filme an?
Maria Schell: Wenn ich Sie lange nicht mehr gesehen habe, dann ja.

WJL: Sind Sie selbstkritisch?
Maria Schell: Natürlich bin ich das. Seit drei Jahren habe ich einen Videorekorder, besitze sechzig Filme von mir, ich schaue sie an, prüfe sie, wie weit sie schauspielerisch gelungen waren. Und ich kann sagen, dass ich zufrieden bin. Ich hab‘ weniger, weit weniger Filme, die der Zeit nicht standhalten als solche, die vor der Zeit bestehen können, die der Zeit standhalten.

WJL: Haben Sie Wünsche an Bühnenstücke, Filmprojekte?
Maria Schell: Ich würde gern »Die Betrogene« von Mann machen, das ist eine wunderschöne Novelle. Und vieles, was ich mir wünsche, das kann ich auch verwirklichen. So mache ich beispielsweise einen Film über eine Orgelspielerin, »Requiem für eine Orgel« heißt der Film, auch eine wunderschöne Geschichte. Verhandlungen sind im Gange über eine Fernsehserie, eine heitere Sache wäre das. Und nächstens wirke ich mit in einem Porträt von mir.

(Anmerkung: 1985 wurde »Zweimal 30 – Maria Schell Special« verwirklicht. Auch die von Maria Schell angesprochene Fernsehserie wurde produziert und mit großem Erfolg 1987 bis 1991 in 49 Folgen ausgestrahlt: »Die glückliche Familie«. Ob »Requiem für eine Orgel« in den Kinos oder im Fernsehprogramm lief, kann ich nicht mehr in Erfahrung bringen.)

Fotos 4, 5 und 6: Maria Schells erfolgreiche TV-Serie »Die glückliche Familie«

WJL: Wenn Sie in der Öffentlichkeit spazieren gehen, erkannt werden, freut Sie das dann oder fühlen Sie sich eher belästigt oder eher bestätigt?
Maria Schell: Also früher war das ganz schlimm. Da konnte ich nicht einmal eine Zahnbürste kaufen. Auch heute werde ich noch viel erkannt, auch im Ausland, in den USA etwa. Aber dieses Erkennen, die Reaktionen der Menschen, das hat sich gewandelt, ist von einer anderen Qualität. Es kommt nicht mehr zu Hysterie, nicht mehr zu Aufläufen. Da ist eine Wärme, eine große menschliche Wärme, die mir entgegengebracht wird, die ich spüre. Das ist keineswegs Belästigung.

WJL: Gibt Ihnen diese Wärme etwas, Kraft für Ihre Arbeit?
Maria Schell: Durchaus, durchaus.

WJL: Viele Zeitgenossen fürchten sich vor einem Krieg. Steht Ihrer Meinung nach ein großer Krieg, der die ganze Welt heimsucht, bevor?
Maria Schell: Ich hoffe, dass von dem Tag an, als wir zum ersten Mal vom Mond aus die Erde sahen, den blauen Planeten, auf dem wir alle leben müssen, von dem keiner runter kann, etwas bewusst oder unbewusst entstanden ist, das diesen Garten Eden behüten will.
Da ist dieses Es, die geistige Substanz, von der wir gesprochen haben, die sich wie eine Wolke formiert zum Schutz dieser Welt, in den Wünschen von uns allen. Der Wunsch nach Frieden ist sehr groß, nicht nur nach Frieden im Sinne von in Ruhe gelassen zu werden, sondern als Verteidigung dieser herrlichen Welt, in der wir leben, die zugekleistert wird von negativen Nachrichten, Tag für Tag, weil die sich gut verkaufen. Leider lesen ja die Menschen Tag für Tag am Anfang jeden Tages nur von Dingen, die einen für den ganzen Tag traurig stimmen müssten. Man erfährt ja tagtäglich nur das Schrecklichste, die entsetzlichen Meldungen.
Daher halte ich die Angst, die vorherrscht, für eine zum Teil künstliche Angst. Die Welt ist uns sehr verteufelt worden durch die übelste Berichterstattung, die alles an Negativ-Superlativen groß herausbringt. Warum? Damit vielleicht die Negativschlagzeile von gestern noch gesteigert werden kann.

Foto 7 Blick vom Mond zur Erde

Aber viele Menschen wollen, mögen diese Sensationsmache nicht, wollen nach innen leben. Weil sie alle spüren, dass die Grenze des Erlebbaren nicht erweitert werden kann. Ich kann mir vorstellen, dass der Wille zum Frieden sehr stark wächst. Dabei ist es schon gar nicht leicht, mit dem Frieden fertig zu werden. Warum haben wir denn all‘ diese Aggressionen, diese Terroristen? Weil viele Menschen nicht mit dem Frieden fertig werden. Dazu sind noch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekommen. Viele junge Menschen stehen heute vor dem Problem dass sie nichts verändern dürfen. Trotzdem: der Wille zum Frieden ist groß. Die ersten Zeichen der Verständigung werden sichtbar. Ich hoffe, dass wir, weil wir aus dieser Erde unsere Lebenskraft beziehen und von ihr leben, zu einem größeren Miteinander als zu einem Gegeneinander finden.

WJL: Das ist Ihre feste Überzeugung?
Maria Schell: Ja. Letzten Endes entscheidet sich der Mensch für das Gute und nicht für das Böse. Der Mensch entscheidet sich nicht willentlich für das Böse, sondern für das Gute.

Foto 8: Paul Scofield, Filmpartner in »1919«
WJL: Stehen Sie einer bestimmten Religion näher als den anderen?
Maria Schell: Das ist schwer zu sagen. Ich bin streng katholisch erzogen worden. Ich glaube Christus ist der Weiseste der Weisen. Weil er eine Formel gefunden hat, die ich für genial halte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Letztendlich ist das der einzig gangbare Weg. Wobei die Betonung nicht so sehr auf »Liebe« liegen muss, sondern auf »Nächsten«. Der »Nächste«, das ist der, der da ist, mit dem du zusammen bist, der dich braucht, der vor dir liegt, weil er gestürzt ist, weil er sich verletzt hat.
Liebe den Nächsten, den, der neben dir ist. Das ist die einzige Schwelle, über die wir alle gehen müssen, die Kommunisten, die Schwarzen, die Weißen, die Sozialisten, die Demokraten, alle. Diese Schwelle ist die Liebe. Dieser eine Satz enthält Verhaltensregeln für Jahrtausende. Dieser Satz ist wichtig, nicht das Zurückziehen ins Nirwana, nur die Liebe zählt. Und Jesus Christus hat diesen Gedanken der Nächstenliebe gelebt.

Zu den Fotos
Foto 1: Maria Schells Memoiren/ Buchcover Langen Müller Verlag
Foto 2: Maria Schell spielte Suprmans Mutter/ amazon
Foto 3: Yul Brynner/ Foto wikimedia commons/ Stevan Kragujević
Fotos 4, 5 und 6: Maria Schells erfolgreiche TV-Serie »Die glückliche Familie«
Foto 7 Blick vom Mond zur Erde/ Foto NASA/ Bill Anders
Foto 8: Paul Scofield, Filmpartner in »1919«/ Foto wikimedia commons/ Allen Warren
Foto 9: Grabstätte von Maria Schell, Friedhof Preitenegg, Gemeinde Preitenegg, Bezirk Wolfsberg, Kärnten, Österreich. Foto wikimedia commons/ Johann Jaritz





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Sonntag, 15. Januar 2017

365 »Feuerberg und Heiliger Quell‘«

Teil  365 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Der »Bullerborn« heute

Von der Stadt der einst heiligen Quellen Paderborn zum »Feuerberg« Bad Pyrmont: Mitte des 14. Jahrhunderts erwähnte Mönch Heinrich von Herford in einer Handschrift eher beiläufig: »Im Herzogtum Westfalen in der Grafschaft Pyrmont bei opidu Lude (Stadt Lügde) in der Diözese Paderborn ist ein Ort des Überflusses mit einer Quelle, der Bullerborn genannt.« Besonders beeindruckt zeigt sich der Kirchenmann ob der Lebhaftigkeit der Quelle. Er schreibt dass sich Bullerborn ständig mit »heftigem Sprudeln und Aufbrausen« bemerkbar mache.

Anno 1597 erschien in Lemgo ein Werk von Johannes Feuerberg alias Johannes Pyrmontano über die »Heilige Quelle« von Bad Pyrmont, betitelt »Fons Sacra, Beschreibung des wunderbaren und Weltberühmten Heil-Brunnens / Gelegen in der Herrschaft Pyrmont«. Pyrmontano konstatiert, dass damals der Pyrmonter Brunnen schon mehr als 200 Jahre in »Beruff«, also in Verwendung, gewesen sei. Namentlich nennt er »Margaretha, Geborene zur Lippe«, Ehefrau von Graf Johann des Älteren zu Riedberg, die anno 1502 das Wasser aus der Heiligen Quelle ob seiner heilsamen Wirkung geschätzt und genutzt habe. Im 16. Jahrhundert galten die Quellen von Pyrmont schon lange nicht mehr nur als Geheimtipp. Aus ganz Europa kamen Zehntausende in der Hoffnung auf heilsame Wirkung des Quellwassers von Bad Pyrmont.

Foto 2: Einst hat man die Stimme des »Bullerborns« weit gehört

Eine ganz besonders wirksame Quelle soll einst im Raum Lügde/Bad Pyrmont aus schattigem Waldboden an die Oberfläche gekommen sein. Ein Mann, so wird in einer alten Sage berichtet, verirrte sich zu nächtlicher Stunde und fand zufällig (2) »auf einer Waldlichtung ein kleines Quellchen, das silbern im Mondschein glänzte«. Erschöpft, wohl auch verzweifelt, so heißt es weiter (3) »beugte er sich darüber und schlürfte das köstliche Wasser. Daraufhin durchzog ihn ein merkwürdiges Gefühl und eine seltsame Frische beschwingte sein Herz.«

Foto 3: Bad Pyrmont gegern Ende des 17. Jahrhunderts

Das »Quellchen« war, wie der Mann erstaunt feststellte, ein Jungbrunnen. Seine eigene Frau erschrak ob des nunmehr wieder jugendlichen Aussehens ihres Gatten und ließ sich genau berichten, was geschehen war. Bald darauf machte sie sich nach der Wegbeschreibung ihres Mannes auf den Weg, fand die Quelle und tat zu viel des Guten. Sie nahm zu viel von dem Wunderwasser zu sich und (4) »wurde wieder zu einem kleinen Mädchen«. Moral von der Geschicht‘: Trink zu viel vom Jungbrunnen nicht!

Foto 4: Die Bombergallee führt zum »Heiligen Quell'«

Die Vorstellung vom Jungbunnen ist uralt. In alter deutscher Sagenwelt gibt es die Vorstellung vom »Berg, auf dem der Himmelsvater seit Jahrtausenden thront«, aus dem ein Jungbrunnen sprudelt (5). Mit Angst vor dem Alter allein ist die Vorstellung vom Jungbrunnen meiner Meinung nach nicht zu erklären, auch nicht mit der Sehnsucht nach langer, womöglich ewiger Jugend. Nach der vielleicht ältesten Glaubensvorstellung überhaupt gibt es einen ewigen Kreislauf von Geburt, Leben und Tod. Auf den Tod folgt die Wiedergeburt und ein neuer Zyklus beginnt. Was stirbt, fährt in die Unterwelt hinab und kommt neugeboren wieder zurück. Das aus Mutter Erde sprudelnde Wasser ist somit ein Symbol für Wiedergeburt des Lebens überhaupt, nicht nur der Natur, die dank des Wasser im Frühjahr nach dem Winter zu neuem Leben erwacht. Weist die Sage vom Jungbrunnen im Raum Lügde/ Pyrmont auf einen matriarchalen Kult um eine heute vergessene Göttin hin? Gibt es auch in Bad Pyrmont christliche »Mythologie«, die auf heidnisches Brauchtum zurückzuführen ist?

Ein Tipp: Sie suchen die heidnischen Ursprünge christlicher Mythologie? Sie wollen herausfinden, wer und was sich hinter Heiligen verbirgt? Dann stellen Sie doch einmal fest, an welchen Tagen die Heiligen gefeiert werden. Sieben Heilquellen bietet Bad Pyrmont. Im Zentrum der Kurstadt befindet sich der Brunnenplatz mit dem »Hylligen Born«, dem »Brodelbrunnen« und dem »Augenbrunnen«.

Foto 5: Die Heilige Ottilie
Beginnen wir unseren kleinen Spaziergang beim »Augenbrunnen«. Auf einer Säule steht da ein Bildnis der Heiligen Odilie (Ottilie). Ottilie (Odilie), die Schutzheilige für das Augenlicht, hat ihren Gedenktag am 13. Dezember. Am 13. Dezember wird auch der Heiligen Lucia gedacht. Lucia bedeutet im Lateinischen die Leuchtende. Am 13. Dezember wird vor allem in Dänemark, Norwegen und in Finnland spezielles Brauchtum zelebriert.

Das Luciafest ist ein auf ein Heiligenfest zurückzuführender Brauch, der vor allem in Schweden sowie und dänischen Südschleswigern verbreitet ist. Das Fest fällt auf den 13. Dezember, den Gedenktag der heiligen Lucia. Warum? Bevor der Gregorianischen Kalenders in Schweden anno 1752 eingeführt wurde, war der 13. Dezember für ein Jahrhundert der kürzeste Tag des Jahres. 

Am 13. Dezember wurde also »Sonnwend‘« gefeiert. Die Wintersonnenwende – Alban Arthuan bei den Kelten – war ein wahrlich markanter Einschnitt im religiösen Leben. Auf den Tod der Natur im Winter folgte ihre Wiedergeburt zur Wintersonnenwende. In der Nacht der Wintersonnenwende bringt die Göttin im finst’ren Leib der Erde das Sonnenkind – wieder – zur Welt.

Das Leben wird neu geboren, die Dunkelheit wird gebannt. Dieses Wiederaufleben der Sonne und des Lichtes wurde schon im Heidentum zelebriert, zum Beispiel im Mithraskult. Es ist kein Zufall, dass wir zeitnah zur Wintersonnenwende (21.12.) am 24. 12. die Geburt des Jesuskinds feiern. Einen Vorläufer unseres christlichen Weihnachtsfestes gab es schon in Ägypten. Im 5. Jahrhundert schildert Herodot das »große Fest« eines mysteriösen Geheimkults um Isis und Osiris. Es geht um den Opfertod des Osiris (Foto 6, Mitte), der zunächst vehement betrauert wird. Dann aber, so viel ist bekannt, kam große Freude auf, weil der geopferte Gott wieder auferstehen würde. Es geht, so verrät der griechische Philosoph Plutarch (* um 45 in Chaironeia; † um 125), um das Weltall, das immer wieder und aufs Neue geboren wird, also um den ewigen Kreislauf des Lebens, im Kleinen wie im Großen. Isis ist in dieser Mythologie die Gebärmutter des Universums.

Foto 6: Horus, Osiris und Isis

Das Leben, diese Theorie vertrat der schwedische Physiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius (1859-1927) bereits vor mehr als 80 Jahren, sei »ewig«. Damit erübrige sich die Frage nach seinem Ursprung. Selbstverständlich, so der Wissenschaftler, (6)»habe auch eine Kreislinie irgendwo einen Anfang, doch sobald sie geschlossen sei, stelle sich die Frage nach ihrem Anfang nicht mehr. Sie ließe sich nicht mehr beantworten. Hinter den Anfang müsse man eine Art von ›Schöpfung‹ stellen oder das, was die Religionen als ›Gott‹ bezeichnen.« Nobelpreisträger Arrhenius war ein wirklich sehr vielseitiger Wissenschaftler, dessen Bandbreite staunen lässt. So setzte er sich forschend mit so unterschiedlichen Gebieten wie der physikalischer Chemie, der Geophysik, aber auch der Meteorologie, der Physiologie und der Kosmologie auseinander.

Foto 7: Blick in die Kuppel vom »Heiligen Quell'«, Bad Pyrmont

Das Bild vom Leben als ein Kreis ohne erkennbaren Anfang und somit auch ohne Ende erinnert mich an den wohl ältesten Glaubenssatz überhaupt, nämlich dass es einen ewigen Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt gibt. Seit Jahren bin ich damit beschäftigt, diese Weltsicht zu erforschen. Wenn ich hinter Heiligen unseres christlichen Kulturkreises Göttinnen und Götter aus sehr viel älteren Kulturkreisen vermute, so geschieht dies nicht aus Respektlosigkeit gegenüber dem christlichen Glauben. Ich suche vielmehr nach den tieferen Wurzeln unserer Glaubensbilder in grauer Vorzeit.


Foto 8: Der Hyllige Born (Heiliger Quell') Bad Pyrmonts

Lucia und Odilie werden beide am 13. Dezember gefeiert. Hinter dem vordergründig Christlichen verbirgt sich ein uralter Glaubenskult um Tod und Wiedergeburt des Lebens, um das neuerliche Erstarken der Sonne, die dem Leben wieder neue Kraft schenkt. Heide Göttner-Abendroth schreibt (7): »Diese matriarchalen Muster haben sich außerordentlich lang erhalten, so dass die Missionare sich gezwungen sahen, sie in direkter Umkehrung noch in die christliche Mythologie aufzunehmen.« Alte heidnische Feier-Termine wurden christlich besetzt. So wurde aus dem Tag der Wintersonnenwende der Gedenktag der Lucia, der »Leuchtenden«. Und um den alten Jubeltag noch mehr zu überdecken, ernannte man den 13.12. auch noch zum Tag der Odilie (Ottilie).

Foto 9: Die Heilige Ottilie vom Augenbrunnen

Fußnoten

1) »Lippische Landeszeitung«, Artikel vom 27.05.1971. Siehe auch Willeke, Manfred: »Lügde Sagen-Sammlung«, Lügde 1988, S. 110 und 11, »Der wunderbare Jungbrunnen«.
2) Willeke, Manfred: »Lügde Sagen-Sammlung«, Lügde 1988, S. 110 und 111, »Der wunderbare Jungbrunnen«, Zitat S. 110, Zeilen 3-5 von oben
3) ebenda, Zeilen 5-8 von oben
4) ebenda, Zeilen 5 und 4 von unten
5) Siehe hierzu Bächtold-Stäubli, Hanns: »Handwörterbuch des deutschen
     Aberglaubens«, Band 1, Neuauflage Berlin und New York 1987, S. 1054,
     rechte Spalte, Stichwort »Weltberg und Himmelsstütze«
6) Zitiert nach Däniken, Erich von: »Botschaften aus dem Jahr 2118/ Neue
     Erinnerungen an die Zukunft«, Rottenburg, Oktober 2016, Seite 97, Zeilen 6-
    11 von oben. eBookausgabe: Pos. 1093
7) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
     Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
     April 2016,eBook-Ausgabe, Pos. 2701

Foto 10: Moosbewachsen - das Haupt der Pyrmonter Ottilie

Zu den Fotos


Foto 11: Der Hyllige Born
Foto 1: Der »Bullerborn« heute. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Einst hat man die Stimme des »Bullerborns« weit gehört. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Bad Pyrmont gegern Ende des 17. Jahrhunderts. Archiv Langbein.
Foto 4: Die Bombergallee führt zum »Heiligen Quell'«. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Die Heilige Ottilie. Darstellung um 1500. Foto: wikimedia commons public domain
Foto 6: Horus, Osiris und Isis. Foto wikimedia commons/ Guillaume Blanchard
Foto 7: Blick in die Kuppel vom »Heiligen Quell'«, Bad Pyrmont. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Der Hyllige Born (Heiliger Quell') Bad Pyrmonts. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Die Heilige Otilie vom Augenbrunnen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Moosbewachsen - das Haupt der Pyrmonter Ottilie. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Der Hyllige Born. Foto Walter-Jörg Langbein

366 »Ein Ganesha und die Herrin vom See«,
Teil  366 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein, 

erscheint am 22.01.2016

 

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Samstag, 14. Januar 2017

Maria Schell: Nur die Liebe zählt

Maria Schell im Interview mit Walter-Jörg Langbein
Teil 1


Fotos 1 und 2: Maria Schell schrieb über ihr Leben

Maria Margarete Anna Schell (* 15. Januar 1926 in Wien; † 26. April 2005 in Preitenegg, Kärnten) war eine österreichisch-schweizerische Schauspielerin. Sie gehörte zu den größten Stars des deutschsprachigen Films der 1950er und 1960er Jahre. Maria Schell wurde verehrt und geliebt. Im Verlauf ihrer Karriere wurde sie mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnet. So erhielt sie acht Mal den »Bambi«, die »Coppa Volpi« der Filmfestspiele von Venedig, den »Deutschen Filmpreis« und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Anlässlich ihres 10. Todestages gab die Österreichische Post eine »Maria-Schell-Sonderbriefmarke« heraus. 

Maria Schell gehört zu den wenigen wirklichen Weltstars, die von Deutschland aus eine sensationelle Karriere starteten. Marcello Mastroianni war ihr Filmpartner in Viscontis »Weiße Nächte«. Mit Curd Jürgens bewunderte man sie weltweit in »Die Ratten« und »Der Schinderhannes«. Lang ist die Liste der internationalen Größen, mit denen Maria Schell zusammen arbeitete. Yves Montand, Claude Chabrol, Orson Wells, Gary Cooper, Paul Scofield und Yul Brünner waren ihre Filmpartner. Journalisten nannten Maria Schell gern und häufig »Seelchen«, ein Spitzname, der ihr zeitlebens anhaftete und sehr missfiel.

Foto 3: Maria Schells
handschriftliche Widmung
Im Oktober 1985 Jahren hatte ich Gelegenheit, Maria Schell in Frankfurt am Main zu interviewen. Ihr aus zahlreichen Filmen bekanntes Lächeln erlebte ich leibhaftig als geradezu überwältigend. Ich erinnere mich noch genau an den kleinen Tisch, an dem wir saßen. Vor mir waren meine Notizen ausgebreitet, die ich zum Gespräch mitgebracht hatte. Und ich erinnere mich an Maria Schells strahlende Augen. Ich gebe es zu: Sie brachte mich aus dem Konzept. Nervös blätterte ich in meinen Unterlagen, um eine weitere möglichst sinnvolle Frage zu stellen. Maria Schell lachte: »Sie müssen mich schon ansehen, wenn Sie mit mir sprechen!«

Rätselhaft wie Maria Schells Lächeln war auch ihre Handschrift. Was genau hat sie mir in ihr Buch »Die Kostbarkeit des Augenblicks« geschrieben? Da steht als gedruckte Widmung: »Für alle, die ich liebe, - und für Dich«. Das »Dich« hat Maria Schell durchgestrichen und ein »Sie« daraus gemacht. Weiter geht es mit (für Sie) lieber Herr Langbein mit meinen herzlichsten Wünschen Maria Schell 11.X.85«.
Doch nun zum Interview. Es entstand im Oktober 1985 und ist heute – über 30 Jahre später – manchmal geradezu erschreckend aktuell!

Walter-Jörg Langbein (WJL): Frau Schell, Sie verfügen ja über ein erstaunlich positives Image …
Maria Schell:  … das ich auszufüllen versuche.
 
WJL: Romy Schneider hat in ihren späteren Filmen versucht, gegen ihr Sissi-Image anzuspielen …
Maria Schell: Das kam daher, dass man ihr den Zauber der Reinheit zum Vorwurf gemacht hat, als Kitsch abgetan hat. Aber das ist einfach nicht wahr!

Diese Filme werden ja zu Weihnachten immer wieder gezeigt, und da sieht man, einwandfrei, dass diese Filme schön  sind. Da steckt schon sehr viel Wahrheit darin, wie Romy Schneider gespielt hat, tiefe Wahrheit.

Foto 4: Einer von Maria Schells
beiden »Seelchen«-Filmen
WJL: In Ihrem Buch »Die Kostbarkeit des Augenblicks« beschreiben Sie eine Szene, die mich doch erstaunt hat. Sie hatten, so berichten Sie, als Schülerin einen Kampf, bei dem bei der Gegenpartei das Nasenbei entzwei ging. Sind Sie also gar nicht so zart.. ?
Maria Schell: Überhaupt nicht. Ich bin sehr handfest.

WJL: Meinen Sie, Ihre handfeste Seite wird zu wenig von der Presse gewürdigt? Oder fühlen Sie sich wohl mit dem Bild, das von Ihnen gezeichnet wird?
Maria Schell: Man wird nie richtig dargestellt. Wenn ich an diesen blöden Nebennamen denke, den ich von der Presse bekommen habe … Seelchen .. dann finde ich das sehr, sehr einfallslos. Das stimmt ja auch gar nicht. Meine Filme waren überhaupt keine Seelchenfilme, bis auf zwei, weil das die Bücher verlangten. Dieser Dr.Holl-Film, das war ein sehr seelenvoller Film. Der Name Seelchen wurde einmal geprägt. Und seither immer wieder hervorgeholt. Da ist man dann nie wieder runter gekommen von diesem Wort. Ich finde das sehr einfallslos von der Presse. Ich verstehe eigentlich gar nicht, wieso diese Leute sich nicht genieren, immer wieder von mir als Seelchen zu schreiben.

WJL: Kann man die Schauspielkunst erlernen?
Maria Schell: Kein Talent kann man lernen. Man hat es, oder man hat es nicht. Wenn man es aber hat, dann kann man es ausbauen. Jemand, der gut Blumen bindet, der hat eine Begabung, oder ein Computerfachmann, ein Bildhauer, oder auch ein Arzt. Einen Teil kann man lernen, aber ein wirkliches Talent wird man nicht, nur weil die Übung aufgebracht wird.

WJL: Sind Sie ein heiterer  oder ein ernster Mensch?
Maria Schell: Beides.

WJL: Spielen religiöse Themen in Ihrem Leben eine Rolle? Haben Sie eine persönliche Beziehung zum Thema »Leben nach dem Tod«?
Maria Schell: Aber ja. Ich bin ganz sicher, dass kein Geist verlorengeht, der einmal auf der Erde gelebt hat. Geist, der die Welt beseelt, bleibt erhalten. Die Substanz des menschlichen Bewusstseins, oder wie man auch immer das nennen möchte, verwandelt sich wenn sie unseren Körper verlässt, mit dem Tode. Sie wird wahrscheinlich wieder in anderer Form erscheinen, eine andere Form annehmen. So wie es handfeste Materie gibt, so gibt es auch eine Substanz »Geist«. Und diese Substanz, dieser Geist … oder wenn Sie lieber Seele sagen möchten … verlässt die Erde eben nicht, löst sich nicht in Nichts auf, bleibt erhalten. Alles ist beseelt.

Foto 5: Rudi Carell wollte als
Frau wiedergeboren werden
WJL: Sie glauben also an die Wiedergeburt?
Maria Schell: Sicher werden wir wiedergeboren, aber vielleicht nicht als Mensch, sondern als ein Wesen, das auch Leben, Geist in sich hat. Vielleicht als Baum, als Vogel, irgendein anderes Tier, als Wind, als Gedanke. Auch als Wolke. Und eben auch als Gedanke.

WJL: Frau Schell, glauben Sie, dass Sie schon einmal gelebt haben?
Maria Schell: Ich habe einmal eine Rückführungstherapie gemacht, da kamen ganz seltsame Erlebnisse zutage. Das hat vielleicht mit meiner Begabung zu tun, mich in andere Leben zu versetzen. 
Aber ich will nicht sagen, dass das nicht so war in einem früheren Leben, nur offensichtlich ist es von der »höchsten Weisheit« nicht so gedacht, dass wir uns an frühere Leben erinnern. Wenn wir mit diesen Erinnerungen ins nächste Leben eintreten sollten, dann hätten wir sie ja. 

Diese Erinnerungen scheinen ausgelöscht zu werden, damit wir ein neues Leben wieder neu leben können. Wir gehen ja auch jede Nacht in einen kleinen Tod, wenn wir schlafen. Wir wissen nicht, ob wir wieder aufwachen. Aus Gewohnheit, aus Erfahrung nehmen wir an, dass wir wieder aufwachen, aber wir wissen es nicht. Meistens brauchen wir ja nur Sekunden, um uns nach dem Aufwachen wieder zurechtzufinden. Aber passiert es uns nicht allen immer wieder, dass wir nicht wissen, wo wir sind, wenn wir aufwachen? So weit sind wir weg. Vielleicht ist das schon diese andere Ebene. Der Tod ist vielleicht nicht anders. Wir haben ja auch an den Schlaf kaum bewusste Erinnerungen. Wir wissen manchmal, was wir geträumt haben, das war dann sehr schön. Aber mit ähnlichem Bewusstsein spüren wir vielleicht auch, dass wir schon gelebt haben. Es passiert doch, dass wir irgendwo stehen und sagen: Hier war ich schon einmal, obwohl man an dem betreffenden Ort in diesem Leben noch nicht war. Das gibt es auch. Ich glaube, wir sind viel mehr im Geistigen zuhause als wir das in unserer materiellen Welt wahrhaben wollen.

Foto 6: Maria strahlt...
WJL: Haben Sie eine konkrete Vorstellung als was Sie einmal wiedergeboren werden möchten?
Maria Schell: Ich möchte gern einmal ein Mann sein, um wirklich herauszukriegen, wie das so ist, ein Mann zu sein. Genauso könnte ich mir vorstellen, dass ein Mann sagt, einmal als Frau wiedergeboren werden zu wollen.

WJL: Rudi Carell hat mir auf diese Frage geantwortet, dass er als Frau wiedergeboren werden möchte…
Maria Schell: Ja. Um einfach wirklich hinter dieses unglaubliche Wunder der zweierlei Geschlechter zu kommen. Das ist ja wirklich ein unglaubliches Wunder der Natur. Es wäre schon reizvoll, einmal die andere Seite, die andere Spiegelung zu erleben. Aber ich käme natürlich genauso gern nochmal als ich selbst zur Welt.

WJL: Würden Sie Ihr Leben noch einmal genauso führen, wie Sie es getan haben? Oder gab es Augenblicke, wenn Sie in die zurückkehren könnten, von denen aus sie einen anderen Weg gehen würden? Würden Sie gern in Ihre Vergangenheit zurück gehen und einiges ändern?
Maria Schell: Eins ist ganz sicher. Ich würde ganz bestimmt wieder Schauspielerin sein. Vielleicht würde ich beim Aufbau meiner Karriere, die ich zeitweilig sehr vernachlässigt habe, aus privaten Gründen, etwas klüger sein. Meine Heirat, meine Kinder, Privates eben, war mir oft wichtiger als meine Karriere.

WJL: Aber ist das nicht besser, als dass Sie sagen müssten: »Ich hatte kein wirkliches Leben?«
Maria Schell: Schon wahr!

WJL: Wenn Sie an die Schauspielkunst denken … Inwieweit muss sich ein Schauspieler oder eine Schauspielerin verändern, um eine Rolle auch wirklich auszufüllen?
Maria Schell: Es gibt zwei Arten von Schauspielern. Die einen können sich sehr stark verwandeln, die anderen holen die Rollen zu sich her und verwandeln sich trotzdem. Ich bin von der zweiten Art, hole die Rollen zu mir.

Maria Schell (nach kurzem Nachdenken): Im Augenblick (Oktober 1985) wird ein Filmporträt von mir gemacht. Da werden verschiedene Filmausschnitte zusammengestellt um zu zeigen, wie verschieden ich in verschiedenen Rollen bin. Manchmal habe ich ein verhältnismäßig ungeschminktes Gesicht, manchmal bin ich ein wenig jünger, mal ein wenig älter. Man sieht aber sehr deutlich, wie stark das innere Leben die äußere Erscheinung verändern kann.

WJL: Kann eine Schauspielerin, kann ein Schauspieler durch eine Rolle verändert werden in seinem Wesen, sei es positiv oder negativ?
Maria Schell: Nein, nein.

Fotos 7 und 8: »Die Ratten« und »Wenn das Herz spicht« mit Maria Schell

WJL: Wenn Sie beispielsweise einen Film abgeschlossen haben, fällt Ihnen dann das andere, filmisch dargestellte Leben ab, wie ein abgelegtes Kleid, eine Maske, die ausgedient hat?
Maria Schell: Ja. Ich kann während der Vorbereitungen der Dreharbeiten sehr wohl unterscheiden, was Film und Familienleben, was ein Interview, was ein Filmdialog ist. Aber wenn ich in einer Szene bin, dann ist die Verwandlung total. Ich glaube, das kann ein Außenseiter kaum ermessen, wie sehr man jedes Mal mit einer Rolle auch in ein anderes Leben eintritt. Dieses andere Leben will im Mittelpunkt stehen, es nimmt die Seele, die Gedanken, die Zeit in Anspruch. Wenn ich dann eine Szene spiele, da muss ich von meinem Leben als Maria Schell in dieses andere Leben hinübergehen, mein eigentliches Leben zurücklassen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Film »Die Ratten« aus dem Jahr 1955, frei nach Hauptmann. Die Mauer bestand damals ja noch nicht. Ich fuhr also in die DDR, kaufte mir dort ein Kleid, es war schrecklich, dazu Büstenhalter, Unterwäsche und Schuhe. Die Sachen ließ ich reinigen. Außerdem hatte ich mir eine Dauerwelle machen lassen und ließ mir meine Ohrläppchen durchstechen und trug zwei kleine falsche Perlen darin. Ich hatte ein Mädchen zu spielen, das in anderen Umständen war. Ich trug dieses eine Kleid während des ganzen Films. Man sagte mir, ich habe wirklich absolut echt ausgesehen.

> Hier weiterlesen: Teil 2

Zu den Fotos

Fotos 1 und 2: Buchcover/ Fotos Langen Müller Verlag und Gustav Lübbe Verlag
Foto 3: Maria Schells handschriftliche Widmung
Foto 4: Einer von Maria Schells beiden »Seelchen«-Filmen. amazon
Foto 5: Rudi Carell wollte als Frau wiedergeboren werden/ Foto Foto wikimedia commons Jan Arkesteijn
Foto 6: Maria Schell 1976/ Foto: wikimedia commons/ Mieremet, Rob Anefo
Fotos 7 und 8: »Die Ratten« und »Wenn das Herz spricht« mit Maria Schell

Maria Schell im Interview mit Walter-Jörg Langbein
Teil 2

erscheint am 16.01.2017

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Sonntag, 8. Januar 2017

364 »Vom Ochsenkopf zur unverwüstbaren Maria«

Teil  364 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Gott Radegast

Der kleine alte Mann kam meiner Vorstellung von einem Waldschrat recht nahe. Karl May hätte wohl seine helle Freude mit ihm gehabt und ihn in einen seiner Romane eingebaut, sei es als Held, den es in den »Wilden Westen« verschlagen hat, sei es als Hauptperson in einem seiner Heimatromane. Ferdi, so nannte sich das liebenswürdige Original mit starken Tendenzen zum Unikum, war eigenen Angaben nach 80 Jahre alt. Vielleicht hatte der urwüchsige Mann aber auch schon ein Jahrhundert auf dem kerzengraden Buckel. Seine Gestalt war schmächtig und dabei doch kraftvoll. Wind und Wetter hatten seine Gesichtshaut gegerbt. Er wirkte alt und doch irgendwie zeitlos. Seine Augen lachten aus der manchmal starr wirkenden Maske seines Gesichts.

Fotos 2 und 3: Der Ochsenkopf vom Ochsenkopf

Kenngelernt habe ich das Original von einem Menschen bei Erkundungsgängen in der Region des Ochsenkopf im Fichtelgebirge. Ferdi erzählte mir Interessantes aus der Geschichte des mit über 1.000 Metern zweithöchsten Berges im Fichtelgebirge. So erfuhr ich, dass er einst »Vichtelberg« oder »hoher Vichtelberg« hieß. Ob da eine Erinnerung an »Wichtel« mitschwingt, die längst vergessenen Mythen im Berg hausten?

Anno 1495 taucht erstmals der Name »Ochsenkopf« in Bergwerksakten auf. Wie es zum Namen »Ochsenkopf« kam, das ist umstritten. Vermutlich wurde auf dem Berg der Gott Radegast verehrt. Darauf deutet ein in Stein gemeißelter Stierkopf hin, der auf dem Gipfel des Ochsenkopf gefunden wurde. Schon vor 50 Jahren, Ende der 1960er, war die Gravur arg verwaschen, trotzdem aber noch zu erkennen. Mein Vater schätzte den Ochsenkopf sehr. Er fuhr begeistert Ski, auch am Ochsenkopf. Mich schleppte er oft mit und zeigte mir auch den in den Stein eingeritzten Ochsenkopf. Wiederholt stand ich vor der Ritzzeichnung, fuhr mit dem Zeigefinger die Konturen des »Ochsenkopfs« nach.

Fotos 4 und 5: Radegast's Ochsenkopf

Dann und wann wurden die Umrisse des Kopfes mit Kreide nachgezogen, um sie zu verdeutlichen. Nicht immer war wirklich zu erkennen, was einst, wer weiß wann, in den Stein geritzt worden war. Die Hörner jedenfalls waren abgerundet, nicht spitz. Sollte da eine Gottheit gezeigt werden? Oder ein Mensch, der als Zeichen der Gottheit Hörner trug? Bei meinen Versuchen einer zeichnerischen Rekonstruktion war ich natürlich bemüht, mich dem Original anzunähern. Ich habe darauf verzichtet, mit Fantasie zu ergänzen, was ein Gesicht vervollständigen würde. Nasenlöcher zum Beispiel vermag ich nicht zu sehen.

Radegast alias Svarožić wird als »Sohn des Svarog« übersetzt. Svarog war als »himmlischer Vater«, als »Himmelsgott«. Sohn Svarožić war als Sonnengott auch für das irdische Feuer zuständig.

Als interessantes Kuriosum notierte ich mir über Gott Radegast alias Svarožić erzählte: »Diesen Stiergott gibt es wirklich! Im letzten Kriegsjahr, anno 1945, habe ich erlebt, wie dieser Gott einen Feuerblitz vom Himmel warf! An der Stelle, wo die göttliche Glut aufschlug, tat sich ein Erdspalt auf. Daraus quoll Wasser. Leider ist die Quelle in den 1960ern versiegt!« Das Quellwasser, so versicherte mir Ferdi treuherzig, habe »heilende Wirkung« gehabt. Inzwischen weiß ich, dass dort, wo Quellgöttinnen angebetet wurden, Quellen Kurgästen aus nah und fern Linderung oder Heilung von Gebrechen bringen sollen.

Foto 6: Auch der Dom von Paderborn steht auf Quellgebiet

In Paderborn erzählte mir ein Geistlicher ausführlich und geheimniskrämerisch von der Mythologie der Quellen. Im Lauf der Recherchen und Kirchen und Klöstern machte ich eine, wie ich meine, erstaunliche Entdeckung. So manche Nonne, so mancher Priester weiß sehr viel mehr über heidnische Ursprünge christlicher Stätten. Offen darüber sprechen aber nur die wenigsten.

Unsere Altvorderen brachten in Sachen Quellen die Götter ins Spiel: Aus den Gefilden der Himmlischen schleudern Götter Blitze gen Erde. Die reißen den Himmel auf und Wasser fließt zur Erde. Die Blitze reißen aber auch Löcher ins Erdreich und Quellwasser tritt wieder zutage. Dieses anschauliche Bild ist schon uralt. Darauf weist auch Karl Weinhold in seiner bemerkenswerten Abhandlung »Die Verehrung der Quellen« (1) hin. Weinhold (2) schreibt (3): »Woher kommt das Quellwasser? Die Mythe antwortet, aus dem Sitz der Götter, dem wolkensammelnden Himmel. Der Blitz spaltet die Wolken und die himmlischen Wasser strömen zur Erde; der Blitz fährt in den Erdboden und der Quell springt hervor.« Und weiter: »Wo ein kirchliches Wunder das Wasser hervorruft, tritt die Naturmythe ganz zurück.« Freiwillig geschieht das freilich nicht. Die Naturmythe wird vielmehr ganz gezielt und bewusst zurückgetreten.

Foto 7: Paderborns einst heilige Quellen sprudeln noch

Westlich von Belgrad, am Ufer des Flusses Suave, fanden Archäologen eine Tonspindel (4). Das Objekt wurde der Vinca-Kultur zugeordnet und auf die Zeit um 5000 v.Chr. datiert. Professor Toby Griffen, Southern Illinois University Edwardsville, entzifferte die eingeritzte Zeichenfolge mit: »Bär – Göttin – Vogel – Göttin – Bär – Göttin – Göttin«.  Seine Übersetzung: »Bärgöttin und Vogelgöttin sind wirklich die Bärgöttin«. Somit wird klar: Die Verehrung der Göttin ist sehr viel älter als der patriarchalische Monotheismus von Judentum, Christentum und Islam.


Foto 8: Schwarze Madonna, Bad Birnbach
So beschreibt Heide Götter-Abendroth  in ihrem Buch »Berggöttinnen der Alpen« (5), wie uralte vorchristliche Orte der Verehrung der Göttinnen umfunktioniert wurden (6): »Mit den Kirchen und Kapellen auf den alten Heiligen Hügeln wurde die christliche Symbolik auf viel ältere symbolische Vorstellungen draufgesetzt. Wenn man frühere Kultstätten nicht zerstört hat, so wurden sie umfunktioniert, was insbesondere dann geschah, wenn die Verehrung der Bevölkerung an dem alten heiligen Platz festhielt. Das missionarische Prinzip, das dabei zur Anwendung kam, war, die vorchristliche Symbolik auf christliche Gestalten zu übertragen, doch den Sinn zu verdrehen, sodass die Bevölkerung quasi dasselbe, aber im christlichen Gewand vorfand.«

Unterschiedliche Göttinnen mit unterschiedlichen Aspekten wurden gern in Jesu Mutter Maria verwandelt. So wurde aus einer heidnischen »Himmelsgöttin« die jüdisch-christliche Maria als »Himmelsfrau«. Wo einst von den »Heiden« eine Göttin der Unterwelt angebetet wurde, dort findet unter christlichem Vorzeichen die Verherrlichung einer »schwarzen Madonna« statt. An Totengöttinnen, die Verstorbene entgegennehmen erinnern mich zahlreiche Marienbilder und Statuen, die Maria zeigen, wie sie den toten Jesus hält.

Foto 9: Schwarze Göttin?
Wo einst Göttinnen verehrt wurden, haben mütterliche Madonnen das Regiment über die einst heidnischen Kultstätten übernommen. Fürsorglich und liebevoll kümmern sie sich um den kleinen Jesus. Kurzum: Heidnische Göttinnen verschwanden nicht spurlos, sie wurden sehr häufig durch Marien ersetzt. Oder genauer: die heidnischen Muttergottheiten wurden in christliche umgewandelt. Heide Götter-Abendroth (6): »Besonders auffällig sind in diesem Zusammenhang Marien-Wallfahrtskirchen. Sie befinden sich auf sehr wichtigen alten Kultplätzen der Göttin.«

Friedrich Muthmann (8), ein renommierter deutscher klassischer Archäologe und Kunsthistoriker, veröffentlichte 1975 im »Archäologischen Verlag Basel« einen großformatigen Folianten mit »Studien zur Quellenverehrung im Altertum und Mittelalter« (9). Leider erschien das grundlegende Werk nur in einer Miniauflage von 750 Exemplaren. Muthmann schreibt (10): »Wie in den Ländern des Mittelmeergebietes, so bildete die Verehrung von Quellen und Brunnen auch in den Ländern nördlich der Alpen schon in vorgeschichtlicher Zeit ein wichtiges Element des religiösen Lebens.« Und weiter (11): »Heilige Quellen entsprangen im Schatten heiliger Bäume bei den Tempeln, wie wir es … aus der Errichtung von Kirchen, Kapellen und Klöstern an quellenreichen Orten schließen können, deren Wahl sich häufig daraus erklären läßt, daß sich hier schon in heidnischer Zeit ein Heiligtum befand.« Die Schriften »der christlichen Bekehrer« so Muthmann (12), »enthalten Beschreibungen von alten Quellkulten und Mahnungen zu ihrer Bekämpfung und Ausrottung«.

Foto 10: Maria, Dom zu Paderborn
Heide Göttner-Abendroth verdeutlicht, worum es geht (13): »Jede Quelle symbolisiert seit uralter Auffassung im Kleinen den Schoß der Erde, denn das hervorfließende Wasser macht die Wiesen grün und das Land fruchtbar.« Viele Göttinnen sind mit Heiligen Quellen eng verbunden: die Lebensspenderin Schakti, sie lebt in heiligen Quellen Indiens. In der Bretagne heißt Schakti Sul und ist eine Göttin der Quellen. Suls Statuen sollen, so berichten es Legenden, von christlichen Missionaren immer wieder in Flüsse geworfen worden sein. Auf wundersame Weise tauchten sie immer wieder auf und wurden reumütig wieder aufgestellt. Ganz ähnliche Geschichten kennt der christliche Volksglaube. So soll auch eine Statue der Gottesmutter Maria in Lügde Feuer und Wasser getrotzt haben. Der Statue, die »ausrangiert« werden sollte, konnten weder Feuer noch Wasser etwas anhaben. Sie verbrannte nicht und versank auch nicht in den Fluten. Göttinnen wie der Mutter Gottes wird eine geradezu übernatürliche Unverwüstbarkeit nachgesagt. Geschichten über unterstörbare heidnische Göttinnen wurden auf Maria, die Himmelskönigin, übertragen.

Fußnoten

Foto 11: Diente eine Todesgöttin als Vorbild?
1) Weinholds Abhandlung erschien 1898 unter dem Titel »Die Verehrung der 
     Quellen in Deutschland« in Berlin als schmales Bändchen. Heide Göttner- 
     Abendroth nahm es 1999 in ein wirklich wichtiges Werk auf, das ich wärmstens
     zur Lektüre empfehlen kann.
     Göttner-Abendroth, Heide (Hrsg.): »Mythologische Landschaft Deutschland«,
     Bern 1999, Weinhold, Karl: »Die Verehrung der Quellen«, Seiten 14-36
2) Karl Weinhold, * 26. Oktober 1823; † 15. August 1901 in Berlin
3) siehe 1, S. 14
4) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
     Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage,   
     21. April 2016.
5) Ich zitiere die eBook-Ausgabe, Pos. 313, Zwischenüberschrift »Siebte Methode:
     Kirchenforschung«
6) Francia, Luisa: »Eine Göttin für jeden Tag«, Nymphenburger Verlag 2016. Ich
     nutzte die eBook-Ausgabe als Quelle, Pos. 29
7) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
     Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
     April 2016, eBook-Ausgabe, Position 312
8) * 15. April 1901 in Elberfeld; † 17. März 1981 in Bern
9) Muthmann, Friedrich: »Mutter und Quelle/ Studien zur Quellenverehrung im
     Altertum und Mittelalter«, Basel 1975
10) ebenda, Zeilen 6-8 von oben
11) ebenda, Zeilen 12-15 von oben, Rechtschreibung wurde übernommen. So blieb
     das »ß« erhalten, der Rechtschreibreform zum Trotz.
12) ebenda, Zeilen 16 und 17 von oben
13) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
     Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
     April 2016. Ich zitiere die eBook-Ausgabe, Pos. 913

Foto 12: Eine der unverwüstlichen Marien. Stadtkirche Lügde

Zu den Fotos
Foto 1 Gott Radegast, frühes 16. Jahrhundert. wiki commons
Fotos 2 und 3: Der Ochsenkopf vom Ochsenkopf. Foto 2 wikimedia commons/ Thomas Kees.
Foto 3 wikimedia commons/ Thomas Kees. Nachzeichnung Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Radegast's Ochsenkopf. Foto 4 wikimedia commons/ Thomas Kees. Foto 5 wikimedia commons/ Thomas Kees. Nachzeichnung Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Auch der Dom von Paderborn steht auf Quellgebiet. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Paderborns einst heilige Quellen sprudeln noch. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Schwarze Madonna der Holzkapelle im Lugenser Wald Bad Birnbach. Foto Heidi Stahl
Foto 9: Schwarze Göttin. Schwarze Madonna der Holzkapelle im Lugenser Wald Bad Birnbach. Foto Heidi Stahl
Foto 10: Maria, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Diente eine Todesgöttin als Vorbild? Maria und der tote Jesus, Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Eine der unverwüstlichen Marien. Stadtkirche Lügde

365 »Feuerberg und Heiliger Quell'«,
Teil  365 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 15.01.2017


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