Samstag, 28. Dezember 2019

519. »Sieben Erden«

Teil 519 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

»Gott schuf die Himmel und die Erde ganz am Anfang.« So finden wir den ersten Satz des ersten Kapitels des ersten Buch Mose in der Peschitta (1) übersetzt. Es ist ganz eindeutig von Himmeln, (2) in der Mehrzahl, aber nur von einer Erde (Einzahl) die Rede. Was kaum ein Theologiestudent oder gar examinierter Theologe auch nur zur Kenntnis nimmt, das ist die Existenz eines gewaltigen Textkonvoluts, das eine gewaltige Menge an Informationen enthält, die weit über das »Alte Testament« hinausgehen. Louis Ginzberg (*1873; †1953) hat eine gewaltige Menge an Legenden zusammengetragen (3), die oftmals Erstaunliches zu Texten des »Alte Testaments« zu bieten haben.

Foto 1: Adam und Eva an der »Adamspforte«,
Dom zu Bamberg

Louis Ginzberg lehrte über ein halbes Jahrhundert rabbinische Wissenschaft am »Jewish Theological Seminary« in New York. Ginzberg, von 1902 bis zu seinem Tode 1953 Professor für Talmud, verfasste hunderte Fachbücher. Der Gelehrte gilt mit Recht als einer der wirklich großen Gelehrten im Bereich jüdischer Überlieferungen. Aus seinem überreichen Fundus »Legendes of the Jews« destilliere ich einige konkrete Angaben, die man in den Texten des »Alten Testaments« vergeblich suchen wird.

»Gott schuf die Himmel und die Erde ganz am Anfang.« vermeldet die Peschitta-Übersetzung. Nach den Legenden der Juden war die Erde nicht der erste Planet, den Gott schuf. Vor Planet Erde entstanden andere Welten (4): »Auch ist diese Welt, die der Mensch bewohnt, nicht eines der ersten Dinge, die Gott schuf. Er machte einige andere Welten vor der unseren, aber er zerstörte sie alle, weil ihm keine gefiel, bevor er die unsere schuf.« Ja auch Planet Erde wäre von Gott zerstört worden, hätte er nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. Unser Heimatplanet ist eine von sieben Welten (5), heißt »heled«. Die anderen Welten waren »erez«, »adamah«, »arka«, »harabah«, »yabbashah« und »tebel«.

Foto 2: Foto 2: Gott, der Schöpfer.
Buchmalerei, Toledo um 1530
Ein eigenes Kapitel hat Louis Ginzberg den (6) »Bewohnern der sieben Erden« gewidmet. Die Informationen, die Louis Ginzberg zu diesem höchst interessanten Thema zusammengetragen hat, könnten einen fantasiebegabten Schriftsteller zu einem Weltraumepos im Stil von »STARWARS« anregen. Im Zentrum der Weltraum-Saga würde dann Adam stehen, der von Gott eine Tour zu jeder der sieben Welten spendiert bekommt. Ich stelle mir einen Blockbuster vor, aus dem auch eine Minifernsehserie entwickelt werden könnte: »Adams Reisen zu sieben Welten«.

Louis Ginzberg hat eine gewaltige Flut jüdischer Legenden zunächst gesammelt und dann in »nur« sechs Textbänden zusammengefasst. Fast sein ganzes Leben hat der Gelehrte an diesem Mammutprojekt gearbeitet. Er zog eine kaum vorstellbare Masse an uralten Überlieferungen heran. Als Quellen dienten ihm Texte in Altslawisch, Aramäisch, Arabisch, Äthiopisch, Griechisch, Hebräisch, Lateinisch und Persisch.

Schon Ende der 1970-er Jahre habe ich versucht, Ginzbergs Quellen auf den Grund zu gehen. Es ist mir aber leider nicht gelungen, auch nur eine der Sagen in »ungekürzter Langfassung« ausfindig zu machen, die Louis Ginzberg so kompakt zusammengefasst hat. Ich vermute sehr stark, dass die ungekürzte Fassung der Legenden so manche Legende im Detail verständlicher machen und heftige Diskussionen über das Wissen der Altvorderen auslösen würde.

Louis Ginzberg konnte 1909 manches nicht verstehen, weil ihm unser heutiges Wissen zum Beispiel über fremde Sterne und ihre Planeten fehlte. Er war eine Koryphäe auf dem weiten Feld des Talmuds. Er  kannte sich in der Welt der Legenden der Juden aus wie kaum ein zweiter Zeitgenosse. Aber er interpretierte altüberlieferte Texte theologisch-mythologisch.

Foto 3: Der Weltenschöpfer, Bildausschnitt,
Toledo um 1530.
Ihm fehlte jedes wissenschaftliches Wissen über die Verhältnisse, die auf Planeten ferner Sonnen herrschen mögen. So konnte er nicht erkennen, ob die uralten Legenden der Juden womöglich korrekte Angaben über real existierende Planeten in fremden Sternensystemen enthielten. Eine solche Möglichkeit hat er wohl auch sowieso ausgeschlossen.

Louis Ginzberg fehlte unser heutiges Wissen. Er hatte also keine Chance, fortschrittliches Wissen in uralten Texten zu erkennen. Heutigen Theologen indes steht sehr konkretes Wissen zur Verfügung. Heutige Theologen könnten sich zum Beispiel über die Entdeckung erdähnlicher Planeten, die in fernen Sternensystemen um ihre Muttersonnen kreisen, informieren. Solche Planeten werden in unseren Tagen immer wieder entdeckt. Je präziser und ausgereifter die Möglichkeiten, ferne Sterne zu observieren sind, desto mehr Planeten werden entdeckt. Freilich beziehen heutige Theologen das Wissen um fremde Welten bei ihren Textinterpretationen nicht mit ein. Sie beschränken sich darauf, die alten Texte theologisch zu erklären und kommen wohl gar nicht auf die Idee, dass womöglich vor Jahrtausenden ferne Planetenwelten beschrieben wurden. Sie sind also heute nicht weiter als Louis Ginzberg, als er 1909 den ersten Band seines »Magnum Opus« publizierte.

Und ich, das muss ich zugeben, bin Ende 2019, also 110 Jahre nach Erscheinen von Band 1 der »Legends of the Jews«, mit meinen Recherchen auch nicht wirklich viel weiter gekommen als ich schon anno 1981 war. Damals trug ich mögliches kosmisches Wissen der »alten Juden« für die Monatszeitschrift »ESOTERA« zusammen. »ESOTERA« veröffentlichte kurz nach Erscheinen meines ersten Buches die Ergebnisse meiner Textstudien in zwei Beiträgen, betitelt »Engel im Orbit« und »Freizeitspaß der Götter« (7).

Fotos 4 und 5: Adam und Eva, 12. Jahrhundert

Die »Legenden der Juden« erzählen eine Geschichte, wie sie fantastischer nicht sein könnte. Demnach durfte Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies mehrere fremde Planeten besuchen. Ob es sich um Trabanten unserer Sonne oder ferner Sterne handelte, darüber kann man nur spekulieren. Wie dem auch sei: Nimmt man die Legenden so wie sie überliefert wurden, dann besuchte Adam fremde Planeten. Louis Ginzberg fasst zusammen (8): »Als Adam aus dem Paradies verbannt worden war, erreichte er zunächst die niedrigste der sieben Erden, ›erez‹, die finster ist, ohne einen Lichtstrahl und vollkommen unbewohnt. Adam war entsetzt, vor allem wegen der Flammen des sich immerwährend drehenden Schwertes, das auf dieser Erde ist.«

Foto 6: Planet Erde,
Detail aus einer Buchmalerei,
Toledo um 1530.
Fotocollage/ Gespiegelt.

Was mag mit diesem sich immerwährend drehenden Flammenschwert gemeint sein? Ist das Bild dem Hirn eines phantasiebegabten Menschen entsprungen? Oder wird ein reales Naturphänomen beschrieben, vergleichbar mit dem berühmten »Auge des Jupiter«? Lange konnten sich irdische Astronomen den roten Fleck auf dem Jupiter nicht so recht erklären. Heute wissen wir, dass ein riesiger Wirbelsturm mit dem Durchmesser der Erde für das Schauspiel verantwortlich ist. Der Sturm tobt schon seit Jahrtausenden. Er wird erst seit etwa zweihundert Jahren von der Erde aus beobachtet. Sah Adam auf »erez« etwas Vergleichbares?

Seit Jahrzehnten studiere ich die »Legenden der Juden. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass sie zum Teil erstaunliches Wissen enthalten. Dieses Wissen wurde über Jahrhunderte weitergereicht. Es wurde weiter und weitererzählt, ohne das alle Aussagen verstanden wurden. Wir können heute versuchen, Unverstandenes zu verstehen. Voraussetzung freilich ist die Bereitschaft anzuerkennen, dass alte Legenden womöglich »modernes« Wissen enthalten können, das einem Kenntnisstand entspricht, den nach herkömmlichem Bild von der Vergangenheit des Menschen damals noch gar nicht vorhanden gewesen sein kann.

Foto 7: Planet Erde,
Detail aus einer Buchmalerei,
Toledo um 1530.
Fotocollage/ Gespiegelt.

Lassen wir die »Legenden der Juden« zu Wort kommen (9):»Gott führte ihn (Adam) zur zweiten Erde, zu ›adamah‹, dort gibt es Licht, das von ihrem eigenen Himmel reflektiert wird.« Sollten hier reale Verhältnisse beschrieben werden, die auf einem fremden Planeten herrschten? Die Aussage ist kurz und bündig. Sie wird in der Legende nicht näher erläutert. Das erschwert eine Interpretation. Es kann nicht mit Sicherheit erklärt werden, wie es zum beschriebenen Phänomen kam. Fakt ist: Die Reflexion des Lichts kann naturwissenschaftlich erklärt werden.

Ein mögliches Szenario: Durch einen Vulkanausbruch ist viel Materie in die Atmosphäre eines Planeten gelangt, das Licht der Sonne dieses Planeten wird von der Atmosphäre reflektiert. »wetter.de« berichtet, dass es auf Planet Erde in historischen Zeiten zu so einer Reflexion des Sonnenlichts gekommen ist (10):

»Der größte Ausbruch, der jemals von Menschen dokumentiert wurde, ereignete sich 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa. Der Vulkan Tambura schleuderte 150 km³ Gesteinsmasse in die Atmosphäre und der Staubschleier verursachte durch die Rückstreuung des Sonnenlichts einen globalen Temperatursturz um 3 Grad im Folgejahr. Das Jahr 1816 verlief dadurch insbesondere in weiten Teilen Nordamerikas und Europa außergewöhnlich kühl und ist als ›Jahr ohne Sommer‹ in die Geschichtsbücher eingegangen.«

Über die Temperaturen, die auf »adamah« herrschten, verraten uns die von Louis Ginzberg zusammengefassten Legenden nichts. Wir erfahren nur, dass das Licht von der Atmosphäre reflektiert wurde. Deshalb erschienen Sterne und Sternbilder auf »adamah« (anders als etwa auf der Erde) nicht in strahlendem Glanz, sondern nur noch ähnlich wie »Phantome« (11).

Als »phantom-ähnlich« werden auch die Bewohner von »adamah« beschrieben, die auf ihrem Planeten kein paradiesisches Leben führten. Die Ernährung muss bescheiden gewesen sein. Die auf »adamah« lebenden Wesen besuchten regelmäßig unsere Erde.

Foto 8: Planet Erde,
Detail aus einer Buchmalerei,
Toledo um 1530.
Fotocollage/ Gespiegelt.


Fußnoten
(1) »The Holy Bible from Ancient Eastern Manuscripts containing the Old and New Testaments translated from the Peshitta, the Authorized Bible of the Church of the East by George M. Lamsa«, A. J. Holman Company, Philadelphia, USA, 9. Auflage 1957, Seite 7, linke Spalte oben
(2) Genesis, chapter 1,1: »God created the heavens and the earth in the very beginning.«
(3) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews« 6 Text-Bände und der Index-Band, veröffentlicht von der »Jewish Publication Society of America«, Philadelphia 1909–1938, Taschenbuchausgabe, Baltimore 1998. Die zahlreichen Fußnoten bei Ginzberg sind nicht wirklich hilfreich. Zudem sind sie in der gängigen Taschenbuchausgabe so winzig gedruckt, dass man sie kaum entziffern kann.
(4) Ebenda, Band 1 »From the Creation to Jacob«, Seite 4, Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(5) Ebenda, Seite 10. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(6) Ebenda, Seiten 113-115: »The inhabitants of the seven earths« (»Die Bewohner der sieben Erden«). Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(7) »Engel im Orbit«, »ESOTERA«, Freiburg im Breisgau, Juni 1981, Seiten 543-550. »Freizeitspaß der Götter«, »ESOTERA«, Freiburg im Breisgau, Juli 1981, Seiten  649-654.
(8) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews«, veröffentlicht von der »Jewish Publication Society of America«, Taschenbuchausgabe, Baltimore 1998, Band 1, Seite 113. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.
(9) Ebenda, Seite 113, 7.-9. Zeile von unten. Übersetzung Walter-Jörg Langbein. Originaltext: »God led him (Adam) to the second earth, the Adamah, where there is light reflected from its own sky.«
(10) https://www.wetter.de/cms/klimafaktor-vulkanausbruch-so-koennen-vulkane-das-klima-beeinflussen-2207716.html (Stand 18.11.2019)
(11) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews«, veröffentlicht von der »Jewish Publication Society of America«, Taschenbuchausgabe, Baltimore 1998, Band 1, Seite 113, 6. Und 7. Zeile von unten. Übersetzung Walter-Jörg Langbein.  Original: »phantom-like stars and constellations«.

Zu den Fotos
Foto 1: Adam und Eva an der »Adamspforte«, Dom zu Bamberg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Gott, der Schöpfer. Buchmalerei, Toledo um 1530. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Der Weltenschöpfer, Bildausschnitt, Toledo um 1530. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Adam und Eva, 12. Jahrhundert. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Planet Erde, Detail aus einer Buchmalerei, Toledo um 1530. Fotocollage/ Gespiegelt. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Planet Erde, Detail aus einer Buchmalerei, Toledo um 1530. Fotocollage/ Gespiegelt. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein 
Foto 8: Planet Erde, Detail aus einer Buchmalerei, Toledo um 1530. Fotocollage/ Gespiegelt. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein 

520. »Adam reist zu fremden Planeten«,
Teil 520 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05. Januar 2020


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Sonntag, 22. Dezember 2019

518. »Reise ins Vorgestern«

Teil 518 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Der »Erste Brief des Johannes«
entsteht.

Martin Luthers Bibelübersetzung als Gesamtausgabe erschien 1534, Piscators Bibelübersetzung folgte Jahrzehnte später, anno 1604. Die alten Bibelübersetzungen zu lesen, das ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Die alten Bibelübersetzungen können uns in Zeiten führen, zu denen ein ganz anderes Deutsch als heute gesprochen wurde. Schon sehr viel früher als das christliche Europa verfügte das syrische Christentum bereits über eine Bibelübersetzung, die »Peschitta« (englische Schreibweise: »Peshitta«). Die »Peschitta« –  in einer aramäischen Sprache verfasst –  war in Syrien weit verbreitet. (Was gern vergessen wird: Jesus sprach einen aramäischen Dialekt und nicht Griechisch oder gar Lateinisch.)

Sprachwissenschaftler haben die alte Form des Syrischen der »Peschitta« als einen »östlichen Zweig des Aramäischen« erkannt. Als Ort der Entstehung steht einwandfrei der syrische Raum fest. Umstritten freilich ist, wann die »Peschitta« zum ersten Mal als greifbarer Text vorlag. Bücher in unserem Sinne gab es damals noch nicht, vermutlich kursierten einzelne biblische Bücher aus der Bibel bevor die »Peschitta« komplett vorlag. Die Anfänge ihrer Entstehung reichen, darin scheinen sich die meisten Experten einig zu sein, bis ins erste nachchristliche Jahrhundert zurück.

Aber wann wurden die Texte schriftlich fixiert? Die Peschitta-Texte des »Neuen Testaments« sollen schon Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus entstanden sein, wie manche Experten meinen.  Oder sind sie jünger? Wurden sie erst Mitte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts niedergeschrieben (1)?

Wir müssen bedenken, dass Jesus selbst und seine Jünger davon ausgingen, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstand. Jesus würde, das glaubten die ersten Christen, noch zu Lebzeiten zumindest einiger der Jünger wieder erscheinen und als Messias die Menschen richten. Warum sollte man da noch dicke Bücher über Jesus und sein Wirken schreiben? Jesus würde doch schon bald wieder vom Himmel zur Erde hinab steigen! Am ehesten hat man wohl wichtige Worte Jesu schriftlich festgehalten, und zwar vermutlich in der Sprache Jesu. Das war Aramäisch. Vermutlich waren das Sammlungen von Zitaten, aber keine Biographien.

Für Christen der »Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien« und der »Assyrischen Kirche des Ostens« ist die »Peschitta« die Standardversion der »Heiligen Schrift« schlechthin. George Mamishisho Lamsa (*1892; †1975) hat die »Peschitta« ins Englische übertragen. Der führende Experte auf dem Gebiet dieser viel zu wenig beachteten Übersetzung erklärt uns (2): »Der Ausdruck Peshitta bedeutet klar, einfach, aufrichtig und wahr, das heißt, das Original«. Eine andere Übersetzung des Terminus »Peschitta« lautet: »einfach zu verstehen«.

Foto 2: Ein Peschitta-Text (Ausschnitt).

 Mit anderen Worten: Die »Peschitta« soll die ursprünglichste Bibelübersetzung sein, verfasst in klarer, nicht verschnörkelter Sprache. Das soll sie von diversen anderen syrischen Übersetzungen unterscheiden, die in den ersten Jahrhunderten nach Jesu Geburt entstanden. Die »Peschitta« will nicht umschreiben, sondern den Text in seiner Schlichtheit ohne Verfälschungen vermitteln. Bietet sie wirkliche Authentizität?

In der Theologie gibt es, vorsichtig formuliert, eine starke Tendenz: Die vier nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes benannten Evangelien haben als authentischer als andere zu gelten. Deshalb werden die vier Evangelien, die ins »Neue Testament« aufgenommen wurden, gern älter, die »Peschitta« und die »verbotenen« Evangelien der Gnosis gern jünger gemacht. Je fundamentalistischer ein Theologe denkt, desto stärker ist seine Abneigung gegen Texte außerhalb der Bibel. Dabei zeigt es sich immer wieder, dass die »Peschitta« manchmal sehr viel genauer und unverfälschter ist als modernere Übersetzungen. Beispiel: die Sache mit der »Heiligen Dreifaltigkeit«. Für christliche Theologen ist die Lehre von der »Heiligen Dreifaltigkeit« fester Bestandteil des christlichen Glaubens. Der »Katechismus der katholischen Kirche« (3) bezeichnet die »Trinitätslehre« als (4) »zentrales Mysterium des Glaubens« und führt aus (5): »Das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit ist das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens. Es ist das Mysterium des inneren Lebens Gottes, der Urgrund aller anderen Glaubensmysterien und das Licht, das diese erhellt. Es ist in der ›Hierarchie der Glaubenswahrheiten‹ die grundlegendste und wesentlichste.«

Nicht wirklich erhellend geht es weiter: »›Die ganze Heilsgeschichte ist nichts anderes als die Geschichte des Weges und der Mittel, durch die der wahre einzige Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – sich offenbart, sich mit den Menschen, die sich von der Sünde abwenden, versöhnt und sie mit sich vereint‹.«

Foto 3: Erster Brief des Johannes
in einer Vulgata-Handschrift
aus dem 13. Jahrhundert.


Auf dem 2. Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 n.Chr. (unter dem Vorsitz von Eutychius, Patriarch von Konstantinopel) wurde verlautbart, dass sich ein einziger Gott in drei Personen zu erkennen gebe. Auf der 11. Synode von Toledo anno 675 wurde erklärt: »Der Vater  ist dasselbe wie der Sohn, der Sohn dasselbe wie der Heilige Geist, nämlich von Natur ein Gott.« Dann vergingen wieder Jahrhunderte, bis anno 1215 auf dem »4. Konzil im Lateran« definiert wurde: »Jede der drei Personen ist jene Wirklichkeit, das heißt göttliche Substanz, Wesenheit und Natur.«

In der sakralen Kunst gibt es zahlreiche Darstellungen der »Heiligen Dreifaltigkeit«.  Freilich stiften Gemälde wie das von Guiard des Moulins (*1251; †1322) eher für Verwirrung, werden da doch Gottvater, Sohn und Heiliger Geist als drei separate Wesen dargestellt. Selten sind Darstellungen der Trinität wie jene im idyllischen Urschalling (Prien) am Chiemsee. Das wirklich bemerkenswerte Fresko, wichtiger Teil einer figurenreichen Wand- und Deckenbemalung aus dem 14. Jahrhundert, wurde in der unteren Spitze eines Gewölbezwickels angebracht. Der unbekannte Künstler hat versucht, die Lehre von der Dreifaltigkeit darzustellen: Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist als ein Wesen. In Urschalling entstand so ein seltsam anmutendes Wesen mit einem Unterleib, aus dem drei Oberkörper wachsen, umhüllt von einem Mantel. Kurios: der Heilige Geist von Urschalling ist ohne Zweifel eine Frau (6).

Problematisch ist, dass es weder im »Alten Testament«, noch im »Neuen Testament« einen Hinweis auf die Dreifaltigkeit zu geben scheint. Steht also nichts in der Bibel über die Trinität? Oder doch? Noch im 19. Jahrhundert gab es in fast allen Bibelübersetzungen ein klares Bekenntnis zur »Trinität«. Im »Ersten Brief von Johannes« (7) scheint ein wenig versteckt die »Dreifaltigkeit« aufzutauchen. Selbst in der sonst von mir sehr geschätzten, da präzisen »Piscator Bibel« von 1684 wird fabuliert: »Denn drey sind, die da zeugen im himmel, der Vatter, das Wort, und der Heilige Geist; und diese dry sind eins.«

Mit dem »Wort« soll Jesus gemeint sein, das ergibt dann die Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist… »und diese drey sind eins.« Ein Blick in die »Peschitta« bringt Klarheit! Da fehlt, wie im griechischen »Neuen Testament« der Vers über die »drei, die eins sind«. Mit anderen Worten: Es handelt sich bei dem Vers, der die Dreifaltigkeit beweisen soll, um einen späteren Einschub, um eine Verfälschung des Originals.  Offensichtlich sahen sich Vertreter der Trinität genötigt, diesen »Beweis« zu fabrizieren, um einen biblischen Beleg für die Dreifaltigkeitslehre zu schaffen.

 Foto 4: Darstellung der Dreifaltigkeit von Guiard
des Moulins
(15. Jahrhundert).


In heutigen Bibelübersetzungen wird man den fiktiven »Beweis« vergeblich suchen. Er wurde längst wieder gelöscht. Und – diese Feststellung ist sehr wichtig – in der »Peschitta« hat es diese Verfälschung nie gegeben. Der britische Physiker und Kosmologe Professor John Barrow (*1952) erklärte in einem Interview mit dem »ORF« (Österreich), seiner Meinung nach seien Zeitreisen »physikalisch prinzipiell möglich«. Der theoretische Physiker von der »University of Cambridge« John David Barrow verfasste zahlreiche Fachbücher wie (8) »Theorien für alles«, » Die Entdeckung des Unmöglichen« und »Das Buch der Universen«. Ob es freilich in der Praxis je zu Zeitreisen kommen wird, weiß auch der Wissenschaftler John David Barrow nicht.

In Gedanken sind Zeitreisen allerdings schon jetzt machbar. Die nötigen »Hilfsmittel« stehen uns schon seit geraumer Zeit zur Verfügung: Es sind Schriften wie das »Alte Testament« in diversen Übersetzungen, die »Peschitta« und die »Legenden der Juden«, die Louis Ginzberg (*1873; †1953) als sein unglaubliches Lebenswerk (9) zusammengetragen hat. Doch Vorsicht ist geboten! Je nachdem, welches Instrument man benutzt,  kann man bei jeder Reise zu ganz unterschiedlichen Bildern von der gleichen Zeitepoche kommen. Ein und dasselbe Ereignis kann immer wieder ganz anders beschrieben worden sein.

Mich persönlich hat in den vergangenen vierzig Jahren keine Reise so fasziniert wie die in die Welten von Mythen aus uralten Zeiten: in die Ära von Adam und Eva und darüber hinaus in weite, weite Gefilde der Vergangenheit. Und je länger ich über die Geheimnisse der Vergangenheit geschrieben habe, desto mehr überlasse ich es den Leserinnen und Lesern, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Anders als Theologen wähne ich mich nicht im Besitz der Wahrheit. Und schon gar nicht versuche ich, meinen Leserinnen und Lesern eine bestimmte Doktrin aufzunötigen. Sich selbst auf die Suche machen, das bringt uns alle weiter!

In den vergangenen vierzig Jahren habe ich dutzende Bücher geschrieben und veröffentlicht. Meine aktuellen Recherchen sind für mich die spannendsten überhaupt. Machen wir uns gemeinsam auf ins Gestern! Beginnen wir unsere Reise ins Vorgestern! 

Foto 5: Die Dreifaltigkeit
von Urschalling.
Fußnoten
(1) Aland, Kurt und andere (Herausgeber): »Novum Testamentum Graece«, 26. Auflage, Deutsche Bibelstiftung Stuttgart, 1981, S. 17
(2) »The Holy Bible from Ancient Eastern Manuscripts containing the Old and New Testaments translated from the Peshitta, the Authorized Bible of the Church of the East by George M. Lamsa«, Seite VII, A. J. Holman Company, Philadelphia, USA, 9. Auflage 1957
(3) »Katechismus der katholischen Kirche«, Taschenbuchausgabe, Wien 1993
(4) Ebenda, »Thematisches Register«, Seite 775, linke Spalte unten, Stichwort »Dreifaltigkeit«
(5) Ebenda, S. 93, Absatz 2 »Der Vater«, Nr. 234
(6) Wodtke-Werner. Verena: »Der Heilige Geist als weibliche Gestalt im christlichen Altertum und Mittelalter. Eine Untersuchung von Texten und Bildern«, Pfaffenweiler 1994
Siehe hierzu auch
Langbein, Walter: »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«, Berlin November 2004 und
Langbein, Walter-Jörg: »Als Eva noch eine Göttin war: Die Wiederentdeckung des Weiblichen in der Bibel – Verborgenes Wissen in biblischen Schriften, verbotenen Büchern und sakralen Kunstwerken«, Groß-Geruau 2015
(7) 1. Johannes Kapitel 5, Vers 7
(8) Barrow, John David: »Theorien für alles : die Suche nach der Weltformel«, 1994
Barrow, John David: »Die Entdeckung des Unmöglichen. Forschung an den Grenzen des Wissens«, Heidelberg 1999
Barrow, John David: »Das Buch der Universen«, Frankfurt am Main 2011
(9) Ginzberg, Louis: »The Legends of the Jews« 6 Text-Bände und der Index-Band, veröffentlicht von der »Jewish Publication Society of America«, Philadelphia 1909–1938.

Foto 6: Piscator-Bibel
von 1684 (Frontispiz).
Zu den Fotos
Foto 1: Der »Erste Brief des Johannes« entsteht. Miniatur  in einer Vulgata-Handschrift aus dem 13. Jahrhundert. Foto gemeinfrei/ Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Ein Peschitta-Text (Ausschnitt). Foto gemeinfrei/ Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Erster Brief des Johannes in einer Vulgata-Handschrift aus dem 13. Jahrhundert. Foto gemeinfrei/ Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Darstellung der Dreifaltigkeit von Guiard des Moulins (15. Jahrhundert).
Foto gemeinfrei/ Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Die Dreifaltigkeit von Urschalling. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Piscator-Bibel von 1684 (Frontispiz). Foto Walter-Jörg Langbein

519. »Sieben Erden«,
Teil 519 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 29. Dezember 2019



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Sonntag, 15. Dezember 2019

517. »Von einer Wüstenstadt zu ›fremden‹ Erden«

Teil 517 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Warum heißt die mysteriöse Ruinenstadt in einem weiten Talkessel im Bergland von Edom auf halbem Weg zwischen dem Golf von Akaba und dem Toten Meer Petra? Der Name der einstigen Metropole im Reich der Nabatäer im heutigen Jordanien ist rasch erklärt: »Petra« geht auf das altgriechische Πέτρα, zu Deutsch, »Fels«, zurück. Der Name Petra ist für die antike Hauptstadt Petra sehr gut gewählt. Wurden doch ihre imposanten Gebäude aus gigantischen Steinformationen herausgearbeitet. Wie die Ruinenstadt von den einstigen Erbauern genannt wurde, das ist umstritten.

Foto 1: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien.

Vielleicht wird die geheimnisvolle Stadt bereits im »Alten Testament« erwähnt. Im Buch Richter (1), aber auch im 2. Buch Könige (2) taucht der Name »Sela« auf. »Sela« lässt sich mit »Fels« oder »Stein« übersetzen. Sollte damit »Petra« gemeint sein? Ist überhaupt eine von Menschen gebaute Stadt oder eine natürliche Felsformation gemeint?

Beim jüdisch-römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus (* 37 oder 38 n.Chr.;† nach 100 n.Chr.) wird Petra »Reqem«, »Reqmu« oder »Rakmu« genannt. Der Name lässt sich mit »die Rote« übersetzen. Tatsächlich ist der Sandstein von Petra rötlich. Darf dies als ein Hinweis auf den ursprünglichen Namen Petras verstanden werden?

Von Petra zu Petrus. Warum nannte Jesus seinen Jünger Simon »Petrus«? Im Evangelium nach Matthäus lesen wir eine Begründung (3): »Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.« So steht es in der berühmten Luther-Bibel. So lesen wir in der Elberfelder Bibel: »Und er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du wirst Kephas heißen - was übersetzt wird: Stein.« Eine Fußnote verrät uns, dass »Stein« im Griechischen »petros« und im Lateinischen »petrus« heißt.

Foto 2: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien.

Zahlreiche Namen werden in der Bibel erklärt. Oftmals sind die Begründungen für Namen sprachlich nicht so ohne weiteres nachvollziehbar und eher Eselsbrücken ohne echte linguistische Legitimation. Eine der wichtigsten »Erklärungen« für einen biblischen Namen bezieht sich auf die Umbenennung von »Simon« in »Petrus«. Warum macht Jesus aus Simon den Petrus? Die Luther-Bibel von 2017 lässt Jesus im  Evangelium nach Matthäus sagen (4): »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.« Die »Einheitsübersetzung« von 2016 geht einen Schritt weiter: »Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.« In der »Einheitsübersetzung« wird aus Jesu »Versammlung« die »Kirche Jesu«.

Der folgende Vers (5) soll Petrus als Nachfolger Jesu legitimieren: »Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.« Auf diesem »Stein« basiert das Papsttum, hat doch Jesus selbst Petrus die Schlüssel zum Himmelreich gegeben. Petrus, der erste Papst, kann den Gläubigen das Tor zum Himmel öffnen. Ist es denn nicht Petrus, dem Jesus die Macht schlechthin überträgt? Was Petrus entscheidet, das gilt, so legt der Vers doch nahe, auf Erden wie im Himmel.

So einleuchtend die Erklärung auch anmutet, so unlogisch ist sie aber auch. Jesus sprach Aramäisch und nicht Griechisch oder gar Lateinisch. Jesus hätte einem Jünger nie einen griechischen oder lateinischen, sondern natürlich einen aramäischen Beinamen verliehen. Erinnern wir uns: Die Römer waren die Herren im »Heiligen Land«, die Besatzungsmacht. Von ihrem Messias erwarteten die Juden zu Lebzeiten Jesu den Sieg über die verhassten Römer.

Foto 3: Wollte Jesus seine »Kirche«
auf Petrus bauen?
Ich muss meine Frage wiederholen: Warum nun nannte Jesus seinen Jünger Simon »Petrus«? Die Antwort findet sich im Aramäischen. Sie ist weit weniger schmeichelhaft als katholische Theologen den Bibeltext gern interpretieren.

George Mamishisho Lamsa (*1892; †1975), profunder Kenner der Sprache Jesu, führt aus (6): »Der Name ›Simon‹ (aramäisch ›Schimun‹) wurde von vielen Müttern gewählt, die um einen Sohn gebetet hatten und erhört worden waren. Dankbar nannten sie ihr Kind dann Schimun, nämlich im Sinne von ›Gott hat mich erhört!‹ Schimun bedeutet nämlich ›gut hörend‹, allerdings auch ›schnell begreifend‹.«

Nun war aber »Simon«, George Mamishisho Lamsa weist darauf hin, alles andere als schnell von Begriff, sondern schwerfällig und langsam im Denken. Deshalb wurde er von Freunden offensichtlich spöttisch »Kepa«, also »Steinblock«, gerufen, eben, weil er träge im Denken war.

Die theologische Erklärung »auf diesen Felsen baue ich meine Gemeinde« muss als Interpretation im Nachhinein gesehen werden. Jesus hat Simon nicht in Petrus umbenannt. Simon trug den Beinamen »Kepa«, »Steinblock«. Und dieser Spitzname wurde ins Griechisch-Lateinische Petrus übersetzt. In östlichen Evangelientexten gibt es übrigens den Namen »Simon Petrus« nicht, sondern nur »Schimun Kepa«, weil man offensichtlich den Namen eben nicht ins Griechisch-Lateinische übertragen hat.

Theologie greift gern auf althergebrachte Texte zurück und interpretiert sie auf ihre Weise. Rückwirkend werden Lehrmeinungen und Dogmen bestätigt, auch wenn dabei die alten Texte verbogen werden müssen. Zurückgegriffen wird auf ältere Texte, denen allein schon ob ihres Alters Respekt entgegengebracht wird. Was schon lange überliefert wurde, hat sich nach und nach ins Bewusstsein der Menschen eingegraben und wird von vielen als »richtig« empfunden. Deshalb wird von Theologen gern auf ältere Texte und Bilder zurückgegriffen, die in neue religiöse Bilder eingebaut werden.

Es gibt Monstermauern aus Stein, die aber in der Regel nur befristet Feinde abhalten konnten. Es gibt Mumien als konservierte haltbar gemachte Leichname. Aber anders als steinerne Mauern und erstarrte Tote ändern sich Ideen und Gedanken auch der religiösen Art im Verlauf der Jahrtausende, führen aber grundsätzliche Vorstellungen aus uralten Zeiten nur fort. Es lohnt sich, zu den Monstermauern dieser Welt zu reisen, die Mysterien unseres Planeten von Ägypten bis Vanuatu zu erforschen. Es lohnt sich erst recht, unsere Wurzeln zu ergründen. Was in »Heiligen Büchern« wie Bibel und Koran steht, das sind keine Neuschöpfungen aus dem Nichts, da wurden vielmehr sehr viel ältere Bausteine aus sehr viel älteren Mythenwelten übernommen, mehr oder minder stark bearbeitet und wieder eingesetzt.

Foto 4: Sollte Petrus Jesu
»Nachfolger« werden?
Mich fasziniert es schon seit Jahrzehnten, archaischen Bildern, die wir in der Bibel, speziell im »Alten Testament« finden, auf den Grund zu gehen und nach ihren Ursprüngen zu suchen. Seit Jahrzehnten versuche ich die alten Quellen zu erforschen, aus denen geschöpft wurde. Es wird in der vermeintlich wissenschaftlichen Theologie meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet, welches alte Material verformt und was beim Verfassen der neueren Texte weggelassen wurde. Aus reichem Quellenmaterial aus alten und uralten Zeiten wurde übernommen. Manches wurde fast unverändert abgeschrieben, viele Informationen ließ man unter den sprichwörtlichen Tisch fallen.

Manches, was aus alten Quellen übernommen wurde, findet sich noch im hebräischen Text des »Alten Testaments«, verschwindet aber in den Übersetzungen. Der erste Satz des »Alten Testaments« verkündet im Hebräischen, dass Gott am Anfang Himmel und Erde schuf. Die »Neue evangelistische Übersetzung« von Karl-Heinz Vanheiden verdeutlicht in einer Fußnote die Problematik der falschen Übersetzungen besonders gut: »Im Hebräischen steht das Verb bara (schuf) in der Einzahl, Gott und Himmel aber in der Mehrzahl. Bara im Sinne von Schaffen wird im Alten Testament nur für das Schaffen Gottes verwendet. Nie wird dabei ein Stoff erwähnt, aus dem Gott schafft.« Die »Elbefelder Bibel« spricht eindeutig von Himmel und von Gott in der Einzahl: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.« Andre Übersetzungen wie die »Elberfelder« lassen den Artikel weg und blieben zweideutig: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« In dieser Version erkennen wir nicht, ob »Himmel« in der Einzahl- oder in der Mehrzahlform verwendet wird.

Als besonders bibeltreu darf die vom Theologen Franz Eugen Schlachter (*1859; †1911) erarbeitete Übersetzung der »Heiligen Schrift« gelten. Sie wurde erstmals im Jahr 1905 veröffentlicht. 1951 erarbeitete die »Genfer Bibelgesellschaft« mit Zustimmung der Familie Schlachter eine revidierte Fassung der Schlachter-Übersetzung von 1905. Die heute gängige Ausgabe wurde als »Schlachter 2000« publiziert. Und hier lesen wir den ersten Satz des »Alten Testaments« korrekt übersetzt so: »Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.«

Unbeeindruckt vom Originaltext verfälschen die »Menge Bibel« und »Neues Leben/ Die Bibel« im ersten Satz des Alten Testaments »die Himmel« (Mehrzahl!) zu »den Himmel«. Den gleichen Fehler macht auch die englische »King James Version« (7), während »The New International Version« korrekt die Mehrzahl wiedergibt: »the heavens« (Mehrzahl) und nicht »the heaven« (Einzahl).

Religiöse »Denker« sehen den Menschen als die Krone der Schöpfung, als das Nonplusultra schlechthin an. Da wird extreme Nabelschau betrieben und die Existenz von anderen »Erden« mit anderen »Himmeln« wird kategorisch verneint. Wir müssen nach diesem »Denken« ganz einfach die »allergrößten« Kreaturen der Schöpfung sein? Der religiöse »Denker« sieht das so, weil er über sich als höher stehendes Wesen nur noch Gott selbst dulden mag. Wenn Gott das Allerhöchste schlechthin ist, dann kommen wir – nach diesem »Denken« – in der Rangfolge schon auf Platz 2. In diesem religiösen Weltbild hat über uns nur Gott einen Platz, der Rest aber hat sich unter uns einzuordnen.

»Wissenschaftlicher« Hochmut ist allerdings nicht angebracht. Denn auch im »wissenschaftlichen« Weltbild der Evolution ist der Mensch die »Krone«, wenn auch nicht als das Ergebnis einer göttlichen Schöpfung, sondern einer erstaunlichen Verkettung von Zufällen. Im »wissenschaftlichen« Weltbild gibt es keinen Gott. Der Mensch steht ganz oben, wo im religiösen Weltbild Gott herrscht.

Die umfangreichen »Legenden der Juden« freilich wissen von Himmeln (Mehrzahl!) und von fremden »Erden« (Mehrzahl!) zu berichten, auf denen – wie auf Terra – auch »Menschen« leben, nur ganz andere. 

Zur Lektüre empfohlen
Bourbon, Fabio: »Petra/ Die geheimnisvolle Felsenstadt«, Köln 2004
Taylor, Jane: »Petra und das versunkene Königreich der Nabatäer«, Düsseldorf 2002

Bibelausgaben
Die im Text zitierten und die erwähnten diversen Bibelausgaben sind im Internet leicht auffindbar. Wer ernsthaft die Texte der Bibel studieren möchte, der sollte sich nicht auf eine bestimmte Übersetzung beschränken, sondern alle möglichen Übersetzungen vergleichend heranziehen.

Fußnoten
(1) Buch Richter Kapitel 1, Vers 36
(2) 2. Buch der Könige Kapitel 14, Vers 7
(3) Das Evangelium nach Johannes Kapitel 1, Vers 42 in der »Lutherbibel 2017«
(4)  Das Evangelium nach Matthäus Kapitel 16, Vers 18 in der »Lutherbibel 2017«
(5) Das Evangelium nach Matthäus Kapitel 16, Vers 19 in der »Einheitsübersetzung« von 2016
(6) Lamsa, George Mamishisho: »Die Evangelien in aramäischer Sicht«, St. Gallen 1963, Seiten 364 und 365
(7) »In the beginning God created the heaven and the earth.«

Zu den Fotos
Foto 1: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien. Foto wikimedia commons, Berthold Werner (Ausschnitt).
Foto 2: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien. Foto wikimedia commons, Berthold Werner (Ausschnitt).
Foto 3: Wollte Jesus seine »Kirche« auf Petrus bauen?
Foto 4: Sollte Petrus Jesu »Nachfolger« werden?

518. »Reise ins Vorgestern«,
Teil 518 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 22. Dezember 2019



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Sonntag, 8. Dezember 2019

516. »Aquila und die Söhne der Götter«

Teil 516 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Historische Aufnahme der Großen Pyramide, um 1910.

Tief unter uns sehen wir, grau in grau, die scheinbar unendliche Wüste. Die sich weithin erstreckende Leere wirkt trist und deprimierend. Plötzlich taucht weit unter uns ein monumentales Bauwerk auf. Aus der Höhe wirkt es klein, in der Realität aber ist es riesig. Wir erkennen es: Es ist die nach Pharao Cheops benannte »Große Pyramide«, wie das Weltwunder im englischsprachigen Raum genannt wird. Wir fliegen staunend über dem jahrtausendealten Denkmal genialer Baukunst. Wir machen die stoisch der Zeit trotzende Sphinx-Statue aus.

Aber schon entschwinden Pyramide und Sphinx aus unserem Blickfeld. Allein schon diese höchst beeindruckenden Bilder machen den Film »Charlie Chan in Egypt« (»Charlie Chan in Ägypten«) aus dem Jahr 1935 sehenswert. Warner Oland (*1879; †1938) fliegt als Detektiv Charlie Chan in einer offenen Propellermaschine über Pyramide und Sphinx. Für einen kurzen Moment kommt es dem fantasievollen Zuschauer so vor, als sei man weit zurück in die Vergangenheit gereist. Die Zeit scheint spurlos an der »Großen Pyramide« vorübergegangen zu sein.

Seit 1935 fliegt Charlie Chan im Film immer wieder über die »Große Pyramide«, unterwegs zur Lösung eines kniffeligen Geheimnisses. Er wird wieder Morde aufklären, keine Frage. Überlassen wir Charlie Chan seiner detektivischen Mission. Er benötigt nicht unsere Hilfe.

Wenden wir uns dem Geheimnis der Göttersöhne zu, die doch so gar nicht in die Bibel zu passen scheinen. Im heiligen Buch des monotheistischen Judentums wie der Christenheit haben Göttersöhne doch wohl nichts zu suchen. Oder doch? Die Göttersöhne sind keine »Erfindung« der Autoren des »Alten Testaments«. Das ist in der Theologie durchaus bekannt. Es gibt in wissenschaftlichen Publikationen aus dem Fachbereich »Altes Testament« Fachaufsätze, die sich mit den Göttersöhnen beschäftigen. Die werden allerdings im Studium der evangelischen Theologie nicht wahrgenommen. Und in der Welt der populärwissenschaftlichen Theologie kommen sie schon gar nicht vor.

Foto 2: Die »Arche Noah«
und die tierischen Passagiere
als Markenblock (Liberia 2014).
Die altehrwürdige »Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft«, gilt in Theologenkreisen weltweit als eines der führenden Organe schlechthin. Die »Z.A.W.«, 1881 von Bernhard Stade gegründet, konzentriert sich auf  theologische, sprachliche und historische Probleme des »Alten Testaments der Bibel.

Anno 1964 wurde ein umfangreicher Artikel über die Göttersöhne veröffentlicht (1). Cooke kommt zum Ergebnis dass die Göttersöhne bereits vor Jahrtausenden in den Hochkulturen von Ägypten bis Mesopotamien aktiv waren.

Jacob Johannes Theodoor Doedens verfasste eine spannende Dissertation zum Thema (2) »Die Söhne Gottes in Genesis 6,1-4«, die 2013 in Ungarn veröffentlicht wurde. Mich verwundert es nicht, dass in Textfragmenten von Qumran von einer »Ratsversammlung der reinen Göttlichen Wesen« zu lesen ist (3).

In der Doktorarbeit von Doedens lese ich auch, dass die »Söhne Gottes« in »Söhne des Himmels«, »die Heiligen«, »Engel« oder »Wächter« umbenannt wurden (4). Warum das geschehen ist lässt sich nur vermuten. Naheliegend ist die Vermutung, dass »Söhne Gottes« oder gar »Söhne er Götter« als mit einem streng monotheistischen Gott nicht vereinbar angesehen wurden. Vor allem sah man in der Welt des strengen Monotheismus den alleinigen Gott als Allmächtigen und Allwissenden an, dem menschlich-irdische Gelüste nach weiblichen Wesen vollkommen fremd zu sein hatten. Ausdrücklich weist Doedens aber darauf hin, dass in anderen Textfragmenten von Qumran immer noch »Söhne der Götter« oder »Söhne Gottes« auftauchen.

William F. Albright (*1891; †1971) hat bereits in seinem fundamentalen Werk über die Entwicklung religiöser Vorstellungen von der Steinzeit bis zum Christentum in überzeugender Weise nachgewiesen, dass die Göttersöhne des »Alten Testaments« auf uralte Mythen zurückgehen, die sehr viel älter als das »Alte Testament« sind.

Foto 3: Die »Arche Noah« als Markenblock (Liberia 2014).

Albrights Magnum Opus »From the Stone Age to Christianity« kann als das Lebenswerk des großen theologischen Wissenschaftlers angesehen werden. Albright, von 1929 bis 1959 Professor für semitische Sprachen an der an der »Johns Hopkins University«, war davon überzeugt, dass was von der »modernen« Theologie gern als märchenhaft und fiktiv angesehen wird, durchaus einen realen historischen Hintergrund haben kann. Er neigt dazu, die Historizität vieler Bibeltexte als erwiesen anzusehen.

Ich habe während meines Studiums der evangelischen Theologie einiges von Albright gelesen. Mir imponierte seine wissenschaftliche Neugier. Allzu oft versuchen Theologen nur, vorgefasste theologische Lehrmeinungen zu bestätigen. Ich will nicht von betrügerischen Absichten reden. Wer absolut von der nicht anzweifelbaren Wirklichkeit der eigenen religiösen Ansichten überzeugt ist, der findet alles nur bestätigt und nimmt Widersprüche gar nicht wahr.

Albright, der auch viele Jahre Direktor der »American School of Oriental Research in Jerusalem« war, leistete als echter Pionier der biblischen Archäologie wichtige Arbeit bei seinen Expeditionen zu wichtigen biblischen Stätten in Südarabien und Altsyrien. Er führte selbst Ausgrabungen durch. Mit bewundernswerter Akribie datierte er biblische Stätten mit Hilfe von Keramikfunden.

Für Albright gab es keinen Zweifel: Die Verfasser des »Alten Testaments« schöpften aus einem uralten, reichhaltigen Fundus. Sie übernahmen die Götter (Elohim) und Gottes- und Göttersöhne aus mythologischen Quellen. Der Ethnologe Konrad Th. Preuss konstatierte anno 1933: »In Mythos und Kult werden die Erlebnisse der Urzeit Machvollzogen!« Und Georges Dumezil zollte 1859 der Quelle aus fernster Vergangenheit seinen Respekt: »Die Mythen sind Alleinbesitz der Urzeiten gewesen und spiegeln den Zustand und die Ereignisse der damaligen Gesellschaft wider.«

Leider ist Dan Browns Romanheld Professor Robert Langdon nur ein fiktiver Professor an der »Harvard University«. In der Romanwelt der Weltbestseller Dan Browns und in den Verfilmungen nach Browns Romanen unterrichtet Langdon angeblich » religiöse Ikonologie und Symbologie«. Dieses Forschungsgebiet gibt es in der realen akademischen Welt der Wissenschaften leider nicht. Es sollte aber geschaffen werden, damit wir die weltweit entdeckten uralten Symbole aus geheimnisvollen Zeiten verstehen können.

Foto 4: Nur wenige Tiere werden gerettet
(Liberia 2014).
Ein »Professor Langdon«, der firm ist auf dem Gebiet der Mythen im »Alten Testament«, müsste sich endlich einmal intensiv in die ältesten Mythen von Ägypten über Mesopotamien bis Ugarit einarbeiten. Und ein solcher Gelehrter müsste ohne Rücksicht auf die eigene wissenschaftliche Karriere und die Einwände der werten Kollegen die wirklichen Quellen biblischer Mythologie erforschen. So ein »Professor Langdon« ist aber leider in der Realität nicht in Sicht. So sind wir auf eigene Recherche, auf eigene Interpretationen und Schlussfolgerungen angewiesen.

Unbestreitbar ist, dass schon in den Schrifttafeln von Ugarit Götterversammlungen beschrieben werden In Ugarit gab es die »Söhne Els«, so wie offenbar auch der biblische Gott seine »Söhne« um sich scharte. Die Söhne des biblischen Gottes (oder der biblischen Götter) rebellieren, steigen vom Himmel hinab auf die Erde und paaren sich mit den schönen Töchtern der Menschen.

Seltsam: Die Göttersöhne (7) finden Gefallen an den Töchtern der Menschen. Das missfällt dem biblischen Gott sehr. Er beschließt zu strafen: allerdings nicht die eigentlich Schuldigen. Unbehelligt bleiben die Göttersöhne, bestraft werden die Menschen. Ihre Lebenszeit wird auf 120 Jahre begrenzt. Und dann lässt Gott gar die Sintflut über die Erde hereinbrechen. Alles Leben soll erst einmal ausgetilgt werden. Mit Hilfe von Noahs Arche soll ein Neustart auf Planet Erde gewagt werden.  

Der biblische Gott handelt nach heutigem Verständnis höchst ungerecht, indem er die Falschen und dann ganz pauschal alle Menschen bestraft. Und warum sollen auch die Tiere fast vollkommen ausgerottet werden? Ein Paar von jeder Art darf überleben. Die Tiere haben ja nun wirklich keine Schuld auf sich geladen.

Die Göttersöhne wiederum benehmen sich recht ungöttlich, wenn sie beim Anblick schöner Menschentochter offenbar die Kontrolle verlieren. Dieses »ungöttliche Verhalten« moniert auch Hermann Gunkel (*1862; †1832), der erst spät, nämlich 1907, zum ordentlichen Professor im Fachbereich »Altes Testament« nach Gießen berufen wurde, in der renommierten Lexikonreihe »Religion in Geschichte und Gegenwart« (8).

Foto 5: Arche Noah und Tiere, auf Briefmarken
(St. Vincent, Karibik).

Bereits von 250 v.Chr. bis 100 n.Chr. entstand die »Septuaginta«, die älteste vollständige Übersetzung des »Alten Testaments«. Freilich sah sich Aquila genötigt, eine neue Übersetzung der Schriften des »Alte Testaments« ins Griechische vorzunehmen, da die Septuaginta zu fehlerhaft war. Er machte sich mit geradezu pedantischem Eifer ans Werk und schloss seine sehr wortgetreue Übersetzung um 125 n.Chr. ab.

Aquila (9), Schüler des legendären Rabbi Akiva, ist für seine in der Regel sehr wortgetreue Übersetzung des »Alten Testaments« aus dem Hebräischen ins Griechische bekannt. Und bei ihm lesen wir, dass »die Söhne der Götter« Wohlgefallen an den schönen Töchtern der Menschen fanden. 

Wenn bei Aquila von »Söhnen der Götter« die Rede ist, dann darf man davon ausgehen, dass man vor zwei Jahrtausenden an die »Söhne der Götter« glaubte. Bleibt nur die Frage, die auch heute noch nicht wirklich beantwortet werden kann: Wer oder was waren die »Göttersöhne«?

Foto 6:  Noah und seine Frau
vor der rettenden Arche (Liberia 2014).
Fußnoten
(1) Cooke, Gerald: »The Sons of (the) God(s)«, »Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft«, Nr. 76, 1964, Seiten 22-47
(2) Doedens, Jacob Johannes Theodoor: »The Sons of God in Genesis 6,1-4«,
Kapitális Printing House, Debrecen, Ungarn 2013
(3) Ebenda, Seite 315, 2. Zeile von oben
(4) Ebenda, Seite 315 unten und Seite 316 oben
(5) Ebenda, Seite 316, 3.+4. Zeile von oben
Im Original: » In the following fragments the expression ›sons of the gods‹ or ›sons of God‹ occurs.«
(6) Albright, William F.: »From the Stone Age to Christianity/ Monotheism and the Historical Process «, New York 1957, Seiten 295-298
(7) 1. Buch Mose, Kapitel 6, Verse 1-4
(8) Gunkel, Hermann: »Mythen und Mythologie, II, Israel« in »Religion in Geschichte und Gegenwart«, 1. Auflage 1913, IV, Spalten 620-632.
(9) Das Internet-Lexikon »wikipedia« schreibt übe Aquila von Sinope (Stand 13.12.2019): »Über Person und Leben Aquilas ist wenig bekannt. Unsicherer Überlieferung nach stammt er aus Sinope (heute Türkei); ebenfalls unsicher ist die oft angenommene Schülerschaft bei dem berühmten jüdischen Lehrer Akiba (50/55–135 n. Chr.). Die Lebensdaten Aquilas lassen sich nur anhand seiner Übersetzungen schätzen, die er um 125 n. Chr. fertigstellte. Die Übersetzung Aquilas ist heute hauptsächlich als christliche Schriftüberlieferung in griechischer Sprache erhalten, woher er auch seine Bedeutung für die alttestamentliche Wissenschaft erbt.«

Zu den Fotos
Foto 1: Historische Aufnahme der Großen Pyramide, um 1910. Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 2: Die »Arche Noah« und die tierischen Passagiere als Markenblock (Liberia 2014). Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 3: Die »Arche Noah« als Markenblock (Liberia 2014). Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 4: Nur wenige Tiere werden gerettet (Liberia 2014). Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 5: Arche Noah und Tiere, auf Briefmarken (St. Vincent, Karibik). Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 6:  Noah und seine Frau vor der rettenden Arche (Liberia 2014). Archiv Walter-Jörg Langbein.


517. »Von einer Wüstenstadt zu fremden ›Erden‹«,
Teil 517 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 15. Dezember 2019



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Sonntag, 1. Dezember 2019

515. »Auf der Suche nach den Göttersöhnen«

Teil 515 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Gottgefällige Engel bleiben im Himmel.
Wer im »Alten Testament« nach »Göttersöhnen« sucht, der wird schnell fündig. Gott ärgerte sich maßlos über die von ihm geschaffenen Menschen, deren Nachkommen und ihr Treiben auf Erden. Damit nicht genug! Auch seine eigenen Söhne bereiteten Gott Verdruss.

Wenn ich in Vorträgen auf die biblischen »Göttersöhne« hinweise, dann reagieren nicht selten selbst emsige Bibelleser verstört. Gottvater, so bekomme ich dann immer wieder zu hören, habe nur einen Sohn, nämlich Jesus. Gern zitiere ich dann vier Verse aus meiner wortwörtlichen Übersetzung des 1. Buches Mose (1): »1) Und es war, ja, es fing an, der Mensch, sich zu mehren auf dem Gesicht der Erde und Töchter wurden ihnen (den Menschen) geboren. 2) Und sie sahen, die Göttersöhne, ja, die Töchter des Menschen, ja, gut diese (oder: schön diese) und sie nahmen die zu Frauen, von allen welche sie wählten. 3) Und er sprach, Jahwe, er, mein Geist, soll nicht herrschen im Menschen für immer, denn auch er ist Fleisch, ja seine Tage seien 100 Jahre und 20 Jahre. 4) Die Riesen, sie (waren) auf der Erde in diesen Tagen, und auch danach ebenso, als sie gingen, die Göttersöhne, zu den Töchtern des Menschen und sie gebaren ihnen, sie, die Riesen, welche die Helden, die hochgerühmten Männer.«

Dann blätterten wütende Skeptiker in ihren Bibeln und stellten erstaunt fest, dass es tatsächlich in der Bibel besagte Göttersöhne gibt. Triumphierend wird mir dann gewöhnlich entgegen geschleudert, dass im Bibeltext von Gottessöhnen (Söhne des einen Gottes), nicht aber von Göttersöhnen 8Söhne mehrerer Götter) die Rede sei.

Ich zitiere die Passage erneut, diesmal aus der Aktuellen Luther-Bibel von 2017:

»1) Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden,
2) da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten.
3) Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn er ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertzwanzig Jahre.
4) Es waren Riesen zu den Zeiten und auch danach noch auf Erden. Denn als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.«

Foto 2: Rebellierende Engel steigen hinab zu den Frauen.
Fotocollage! Gespiegelt!

Tatsächlich ist im hebräischen Original von Elohim, also von Göttern die Rede, die Übersetzung Göttersöhne ist also korrekt. Ich hatte 1978 ausgiebig Gelegenheit, mich mit Prof. Dr. Georg Fohrer (*1915; †2002), Fachbereich Altes Testament an der »Friedrich Alexander Universität Erlangen«,  über die ominösen Göttersöhne zu unterhalten. Der renommierte Theologe im Gespräch mit mir: »Es sind nicht die Söhne Jahwes, es sind die Söhne der Elohim! Und weiter: Es ist nur logisch, dass von Göttersöhnen die Rede ist, also von den Söhnen der Götter. Denn die Söhne der Götter begehrten die Töchter der Menschen.« Nach Überzeugung Prof. Dr. Fohrers waren die Göttersöhne untergeordnete Götter, die schon in vorbiblischen Zeiten verehrt und angebetet wurden!

Prof. Dr. Oswald Loretz (*1928; †2014) übersetzt in seinem leider viel zu wenig beachteten Werk »Ugarit und die Bibel« (2) auch auf die Göttersöhne ein. Auch er übersetzt: »Da sahen die Göttersöhne, wie schön die Menschentöchter waren. … Die Riesen waren in jenen Tagen im Land und auch danach, als die Göttersöhne zu den Menschentöchtern kamen.«

Foto 3: Die Göttersöhne
zeugten mit den Töchtern der Menschen Riesen.
Lithographie von  Osmar Schindler, 1888

 Für gewöhnlich kennen sich selbst die besten Theologen christlicher Couleur nur im Fachbereich Altes oder Neues Testament aus. Orientalisten wiederum mögen bestens in Sachen Schrifttum des Orients informiert sein, haben aber keine Ahnung vom »Alten Testament«. Prof. Dr. Loretz indes war sowohl Theologe als auch Altorientalist. Wikipedia würdigt Prof. Dr. Oswald Loretz wie folgt (3): »Oswald Loretz leistete neben seinen alttestamentlichen Studien und seinen Ugarit-Forschungen wesentliche Beiträge für die Erforschung der Literatur-, Sprach- und Kulturgeschichte des antiken syro-palästinischen und des ostmediterran-levantinischen Raumes vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis zur Zeitenwende.«

Prof. Dr. Oswald Loretz erkannte, dass sich so mancher Verfasser von Texten, die wir aus dem Alten Testament kennen, aus sehr viel älteren Texten (Ugarit!) bedient haben muss.  Prof. Dr. Loretz weist nach, dass scheinbar harmlose Bibelverse brisante Informationen bieten: allerdings nur, wenn man korrekt übersetzt. Das aber geschieht nicht immer. Prof. Dr. Loretz wird dem Original mit seiner Übersetzung gerecht (4): »Volles Gewicht hat die alte Tradition auch noch in diesem Abschnitt von Psalm 89, wo Gottes himmlische Umgebung folgendermaßen beschrieben wird (5): ›Die Himmel preisen deine Werke, Jahwe, …Denn wer in den Wolken gleicht Jahwe, ist ähnlich Jahwe unter den Göttersöhnen?‹«

In der Lutherbibel von 2017 findet sich in Vers 7 keine Spur mehr von den Göttersöhnen: »Denn wer in den Wolken könnte dem HERRN gleichen und dem HERRN gleich sein unter den Himmlischen?«  Korrekt übersetzt finden wir den Vers in der »Elberfelder Bibel«: »Denn wer in den Wolken ist mit dem HERRN zu vergleichen? Wer ist dem HERRN gleich unter den Göttersöhnen?« Auch »Schlachter 2000« hat keine Angst von Göttersöhnen: »Denn wer in den Wolken ist dem HERRN zu vergleichen, wer ist dem HERRN ähnlich unter den Göttersöhnen?« Der »Zürcher Bibel« scheinen die Göttersöhne nicht zu schmecken: »Denn wer in den Wolken kann sich messen mit dem HERRN, wer unter den Gottessöhnen gleicht dem HERRN?« Immerhin bleiben die Gottessöhne erhalten. »Hoffnung für Alle« lässt die Göttersöhne verschwinden: »Denn wer im Himmel ist dir gleich? Kein himmlisches Wesen ist so mächtig wie du!« Auch in der »Neuen Genfer Übersetzung« vermisse ich die Göttersöhne. Wie so oft in manipulierenden Übersetzungen verharmlost man »Göttersöhne« oder »Gottessöhne« und macht »himmlische Wesen« daraus: »Denn wer dort über den Wolken hält einem Vergleich mit dem Herrn stand? Welches himmlische Wesen steht auf derselben Stufe mit dem Herrn?«

Foto 4: Der Heilige
Gottesname Jahwe,
der HERR in vielen
deutschen Ausgaben
der Bibel
Seit rund einem halben Jahrhundert bin ich auf der Suche nach den biblischen Göttersöhnen. Ich wurde so manches Mal fündig. Ein sehr schönes Beispiel ist Psalm 29. Die aktuelle Lutherbibel lässt uns Vers 1 wie folgt lesen: »Ein Psalm Davids. Bringet dar dem HERRN, ihr Himmlischen, bringet dar dem HERRN Ehre und Stärke!« Auch die »Einheitsübersetzung 2016« bietet »Ihr Himmlischen«. Ähnlich fabulieren die »Neue Genfer Übersetzung« und die »Neue Evangelistische Übersetzung«, da werden »himmlischen Wesen« angesprochen.

Wagen wir einen Blick nach England. »O heavenly beings«, also »O himmlische Wesen« finden wir in der »English Standard Version«. Dazu gibt es eine Fußnote: »Hebrew Sons of God or Sons of Might«, also »Hebräisch Söhne Gottes oder Söhne der Macht/ mächtige Söhne«. Die »New International Version« belässt es bei »heavenly beings«, also bei »himmlischen Wesen«, und verzichtet auf eine Fußnote.

Wie sich doch die Übersetzer oft winden, nur um nicht von »Göttersöhnen« sprechen zu müssen! »Ihr Söhne von Mächtigen..« fabuliert die »Wachturm Online Bibliothek« Aber wer sind denn »die Mächtigen« (Mehrzahl!)? Die »Gute Nachricht Bibel« lokalisiert sie etwas genauer, wenn sie von »Mächtigen im Himmel« spricht. Da und dort ist von »Engeln« zu lesen, auch wenn man im Original keinen Hinweis auf Engel findet.

»Mächtige Engel« sollen sich nach »Hoffnung für Alle« und der »New International Readers Version« (6) angesprochen fühlen und Gott loben und preisen.

Wahrhaft kurios fällt die Übersetzung aus, die die »Zürcher Bibel« verbreitet: »Ein Psalm Davids. Gebt dem HERRN, ihr Götter, gebt dem HERRN Ehre und Macht.« Im hebräischen Originaltext steht Jahwe. Erklärender Hinweis: Ursprünglich wurden die Originaltexte in der hebräischen Konsonantenschrift verfasst. Zeitweise durfte der heilige Gottesname Jahwe nicht ausgesprochen werden. Stattdessen musste in der Synagoge laut Adonai gesagt werden, wenn Jahwe geschrieben stand. Damit nun beim Vortrag aus der Thora nicht versehentlich doch einmal laut Jahwe ausgesprochen wurde, fügte man den hebräischen Konsonanten JHWH von Jahwe die hebräischen Vokale des Wortes Adonai bei. Adonai bedeutet Herr. Wenn Jahwe in der Schriftrolle stand, wurde laut Adonai vorgetragen.

Der besondere Respekt vor dem Gottesnamen Jahwe wurde bei der Übertragung des »Alten Testaments« ins Deutsche gewahrt. Wo im Original Jahwe stand, wurde in der deutschsprachigen Übersetzung HERR in Großbuchstaben gedruckt.

Die »Zürcher Bibel« zeigt: »Ein Psalm Davids. Gebt dem HERRN, ihr Götter, gebt dem HERRN Ehre und Macht!« Wenn wir etwas näher am Original bleiben wollen, lesen wir so: »Ein Psalm Davids. Gebt Jahwe, ihr Götter, gebt Jahwe Ehre und Macht.« Einfacher, kürzer und besser verständlich formuliert: »Ihr Götter gebt Jahwe Ehre und Macht!«

Diese Fassung des Verses 1 von Psalm 29 steht im krassen Gegensatz zum Monotheismus der Bibel. Götter sollen Jahwe Ehre und Macht geben? Welche Götter? Geradezu ketzerisch blasphemisch muss es doch für Christen sein, wenn im Text gefordert wird, dass irgendwelche Götter Jahwe Macht und Ehre geben sollen. Das könn(t)en sie doch eigentlich nur, wenn sie im Rang über Jahwe stehen! Nur der Stärkere kann dem Schwächeren »Ehre und Macht« geben.

In einem anderen Psalm, Psalm 82, tauchen wiederum Götter (Mehrzahl!) auf (7): »Gott steht in der Gottesgemeinde und ist Richter unter den Göttern.« Diese Übersetzung ist irreführend. Wortwörtlich übersetzt lautet der Vers in deutscher Sprache so: »Elohim – er steht – in der Gemeinde von El inmitten von Göttern spricht er Recht.« Prof. Dr. Oswald Loretz übersetzt so (8): »›Jahwe‹ steht in der ›El‹-Versammlung, inmitten der Götter hält er Gericht.«

Hier ist eindeutig von einer Versammlung von Göttern (Mehrzahl!). In dieser Zusammenkunft von Göttern hält ein Gott (DER Gott des monotheistischen Judentums?) Gericht?

Im Buch »Hiob«, es wird zur »Weisheitsliteratur« des »Alten Testaments« gezählt, gibt es gleich zwei Hinweise auf so eine Versammlung! Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien räumte dem kleinen Büchlein einen sehr hohen Stellenwert ein und ließ es in der Bibel unmittelbar auf die fünf Bücher Mose folgen.

Hiob Kapitel 1,Vers 6: »Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan mit ihnen.«

Hiob Kapitel 2, Vers 1: »Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den HERRN trat.«


Fußnoten
(1) 1. Buch Mose, Kapitel 6, Verse 1-4
(2) Loretz, Oswald: »Ugarit und die Bibel«, »Wissenschaftliche Buchgemeinschaft«, Darmstadt 1990, Seite 60, Zeilen 1-3 von unten und Seite 61, Zeilen 1-6 von oben
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Loretz (Stand 10.10.2019)
(4) Loretz, Oswald: »Ugarit und die Bibel«, »Wissenschaftliche Buchgemeinschaft«, Darmstadt 1990, Seite 61
(5) Psalm 89, Verse 6 und 7
(6) »you mighty angels«
(7) Lutherbibel 2017, Psalm 82, Vers 1
(8) Loretz, Oswald: »Ugarit und die Bibel«, »Wissenschaftliche Buchgemeinschaft«, Darmstadt 1990, Seite 60 unten

Zu den Fotos 
Foto 1: Gottgefällige Engel bleiben im Himmel. Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Rebellierende Engel steigen hinab zu den Frauen. Fotocollage! Gespiegelt! Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3 Die Göttersöhne zeugten mit den Töchtern der Menschen Riesen. Lithographie von  Osmar Schindler, 1888. Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Der Heilige Gottesname Jahwe, der »HERR« in vielen deutschen Ausgaben der Bibel.Archiv Walter-Jörg Langbein

516. »Aquila und die Söhne der Götter«,
Teil 516 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 8. Dezember 2019




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Sonntag, 24. November 2019

514. »Von Nan Madol bis Ugarit«

Teil 514 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Monstermauern haben mich schon immer fasziniert. Staunend stand ich vor so manchem Bauwerk der Superlative. Ein Beispiel: Die Ruinen von Nan Madol, deren Mauern auch heute noch bis in den Himmel zu ragen scheinen. Es ist erstaunlich, zu welch fantastischen Leistungen Menschen in der Lage waren! Weltweit, von der Südsee bis nach Indien, von Japan bis nach Peru, wurden vor ewigen Zeiten tonnenschwere Monstersteine zu gewaltigen Mauern aufgetürmt. Sie trotzten den Jahrhunderten, ja den Jahrtausenden. Manche hielten Erdbeben stand. Andere überdauerten Tsunamis. Monstermauern stehen noch, wenn von der Kultur ihrer Erbauer ansonsten schon lange nichts mehr zu finden ist.


Fotos 1-4: Einige der Monstermauern von Nan Madol.

Es kommt mir so vor, als hätten die zerstörerischen Kräfte längt den Kampf gegen diese Monstermauern aufgegeben.

Man sagt in Ägypten, dass sich der Mensch vor der Zeit fürchtet, die Zeit aber Angst vor der Pyramide hat (1). Zumindest Respekt hat die Zeit dann wohl vor der einen oder der anderen Monstermauer auf unserem Planeten, die von Meistern der Baukunst schon vor Ewigkeiten errichtet wurden. Angst und Bange muss es aber der Zeit werden, wenn sie an andere Mauern denkt. Die stabilsten und dauerhaftesten Mauern werden nicht aus Stein gebaut. Sie sind durabler als die massivste megalithische Mauer aus Stein und doch nur imaginär. Religiöse Fanatiker bauen scheinbar unüberwindbare Mauern, nicht aus Stein, sondern aus Angst. Religiöse wie vermeintlich wissenschaftliche Fundamentalisten mauern sich selbst ein, weil sie nur die eigene Wahrheit sehen möchten. Sie positionieren sich gern als die Alleinvertreter der angeblichen Wahrheit schlechthin. Sie mauern sich ein, weil sie Angst vor Fakten haben, die ihr simples Weltbild erschüttern könnten. Fanatiker belügen sich selbst. Je weniger sie selbst an ihre Weltsicht glauben, desto höhere und dickere Mauern bauen sie in ihren Köpfen auf. Und desto fanatischer bekämpfen sie Zweifler und Andersdenkende: früher mit Feuer und Schwert, heute machen sie sie unglaubwürdig und lächerlich.

Foto 5: Cheopspyramide und Sphinx.
Historische Aufnahme um 1910

Es gibt eine Wahrheit, vor der Fundamentalisten jeder Couleur Angst haben. Sie verstärken ihre Mauern, sie lassen sie noch weiter in die Höhe wachsen. Dabei unterscheiden sich »religiöse« wie »wissenschaftliche« Fundamentalisten sehr viel weniger als beiden Lagern bewusst und lieb sein kann. Man präsentiert sich als alleiniger, als einzig berechtigter Vertreter »der Wahrheit«.

Letztlich wird der Schock umso größer werden, je länger sich Fanatiker gegen Zweifel an ihrer Weltsicht zur Wehr setzen. Es wird weltweit zu Panik kommen, wenn sich diverse »wissenschaftliche« wie »religiöse« Pseudowahrheiten als »Humbug« erweisen, um Ebenezer Scrooge (2) aus dem berühmten »Weihnachtsmärchen« von Charles Dickens (*1812; †1870) zu zitieren.

In einem Punkt unterscheiden sich »religiöse« und »wissenschaftliche« Fundamentalisten: Wissenschaftliche Hardliner sind der Überzeugung, dass der Mensch mehr von der Wirklichkeit erkannt hat als alle seine Vorfahren. Das heute gültige Weltbild hat sich nach seiner Überzeugung nach und nach evolutionär aufgebaut. Der heutige Mensch ist für ihn die momentane Krone der Evolution.

Für den religiösen monotheistischen Hardliner hat es keine solche allmähliche und zufällige Evolution des Menschen gegeben. In seinem Weltbild war der Mensch von Anfang an die »Krone der Schöpfung«, weil Gott höchstpersönlich den Menschen erschaffen und ins Paradies gesetzt hat. Beide Fanatiker haben den Menschen auf einen Thron gehoben, der früher oder später zusammenbrechen wird.

Mauern können schützen, aber auch einengen. Manche Mauern in den Köpfen sind brüchig geworden und werden von Vordenkern zum Einsturz gebracht. So wird langsam immer deutlicher sichtbar, dass es vor Jahrhunderten und Jahrtausenden keine isolierte Entwicklung auf den Kontinenten gegeben hat. Vielmehr gab es offenbar zu frühen Zeiten lange vor Kolumbus transozeanische Kontakte. Europäer waren vor Jahrhunderten im Norden Perus. Kelten haben am Bau von Kuelap, der Metropole der Wolkenmenschen, zumindest mitgewirkt. Bleiben wir in Peru: Europäer aus dem »griechischen Kulturkreis« kannten das Monster in der Unterwelt der geheimnisvollen Ruinenstadt Chavín de Huántar. Das sageumwobene Monster Minotaurus und die Kreatur von Chavín de Huántar waren womöglich identisch.

Zwei Varianten bieten sich an:

Variante 1: Einwanderer aus Griechenland brachten vor mindestens 2.500 Jahren das Abbild eines monströsen »Dings« über Syrakus nach Peru. Oder sie kannten das unheimliche »Ding« aus Europa und fertigten in Peru ein Gegenstück an.

Variante 2: Besucher aus Europa bekamen Jahrtausende vor Kolumbus die Anlage von Chavín de Huántar zu sehen. Sie erkundeten den riesigen Komplex und entdeckten das monströse »Ding« im Zentrum des Labyrinths. Sie kehrten nach Griechenland zurück und fertigten aus Stein ein furchteinflößendes »Etwas« an: ein Abbild des Monsters von Peru.  Das »Ding« von Syrakus, das aus Griechenland stammte, hatte einen Namen: »Gorgo«. Offenbar hauste »Gorgo« oder ein naher »Verwandter« aus der griechischen Mythologie in der Unterwelt von Chavín de Huántar im Norden Perus!

Foto 6: ‭Monster »Gorgo«.
Zeichnung: Grete C. Söcker
Es gibt verblüffende Tatsachen, die eigentlich unmöglich, aber doch real sind. Homer beschreibt in seiner »Odyssee« und in seiner »Ilias« (3) »Gorgo« als eine scheußliche Kreatur der Unterwelt, so wie das »Ding« von Chavín de Huántar, das im Norden Perus in der Unterwelt verborgen ist.

Nach Hesiods Werk »Theogonie«, das die Mythologie der Entstehung der Götter beschreibt, hausten die furchteinflößenden Gorgonen (4) »jenseits des großen Okeanos, hart an der Grenze der Nacht«. Dr. Enrico Mattievich, Prof. emeritus der »Federal University of Rio de Janeiro«, ist davon überzeugt, dass Homers Reise in die Unterwelt keine dichterische Fiktion ist. Vielmehr kommt er in seinem Werk zur Überzeugung, dass da reale Örtlichkeiten beschrieben werden, die  in Südamerika anzusiedeln sind. In seinem penibel recherchierten Werk »Journey to the Mythological Inferno« (5) lässt der Wissenschaftler kaum Zweifel aufkommen! Homer beschreibt, so Dr. Mattievich, die »Unterwelt« von Chavín de Huántar. »Ancient Origins« fasst zusammen (6):

»Ein Teil des Buchs erforscht die Ähnlichkeiten zwischen Chavín de Huántar und der Beschreibung bei Hesiod. Es passen nicht nur Hesiods geographisch Beschreibungen zur Stätte (von Chavín de Huántar), örtliche Legenden stimmen auch mit der griechischen Mythologie überein und außerdem scheinen Funde im Tempel zu korrespondieren.« Ich darf noch einmal das Fachblatt »Ancient Origins« zitieren (7): »Antike griechische Legende scheint Ort in Peru zu beschreiben: Früher Kontakt?«

Für den religiösen monotheistischen Hardliner hat es keine solche allmähliche und zufällige Evolution des Menschen gegeben. Sein »Heiliges Buch« kann und darf auch nicht nach und nach entstanden sein. Es wurde, so die Fundamentalisten der monotheistischen Religionen, von Gott erschaffen und existierte von Anfang an in der heute vorliegenden Form.  Mancher Fanatiker unterscheidet gar nicht zwischen Gott und seinem Heiligen Buch. Für ihn ist das Buch das Heilige und vollkommen frei von Fehlern. Natürlich hat Gott auch nicht abgeschrieben oder auch nur ältere Texte weiterentwickelt oder gar übernommen.

Zu den spannendsten Stunden meines Studiums der evangelischen Theologie gehörte die detektivische Beschäftigung mit den Namen biblischer Personen. Jehu war in der Zeit von 841 v.Chr. bis etwa 814 v. Chr. König von Israel. Sein Name Jehu lässt sich mit »Jahwe ist er« übersetzen. Sollte es sich bei Jehu in Wirklichkeit um eine Chiffre für Jahwe handeln? Über »Jahwe ist er« lesen wir (8): »Und Jehu versammelte alles Volk und ließ ihnen sagen: Ahab hat Baal wenig gedient; Jehu will ihm besser dienen.« Dieser »Jahwe ist er« gibt sich scheinheilig als Anhänger Baals aus. Er lässt alle Baals-Priester zu einem Festgelage einladen. Wer die Einladung ausschlägt, wird umgebracht (9), lässt Jehu verkünden und verleiht so seiner Einladung mehr Nachdruck. Jehus Motivation (10): »Aber Jehu tat dies mit Hinterlist, um die Diener Baals umzubringen.« Das traurige Ergebnis der Hinterlist Jehus: Alle Diener Baals werden ermordet. Jehu alias »Jahwe ist er« lässt unter den Baal-Anhängern ein Blutbad anrichten, so steht’s im »Alten Testament«.

Foto 7:  Eine Seite aus
Hesiods Theogonie
Weniger brutal geht es nach einem sehr viel älteren Keilschrifttext aus Ugarit (11) zu. Unterweltgott Mt sendet Götterboten zu Baal. Baal erhält »eine Einladung zu einem Gastmahl, verbunden mit der Drohung ihn zu durchbohren und aufzufressen, falls er der Einladung nicht entsprechen würde.« Erst nach einer zweiten Einladung macht sich Baal auf den Weg. Wenig später ist Baal tot. »Die Göttin Anat geht auf die Suche nach Baal und findet ihn niedergesunken, tot in der Unterwelt.«

In Ugarit wurde nur Baal selbst mit dem Tod bedroht, so er die Einladung ausschlagen sollte. Der »Jahwe ist er« lädt alle Priester Baals ein und schüchtert sie alle ein. Wer nicht zum Festschmaus kommt. Der wird umgebracht.

Jetzt wird es spannend: »Hierauf vollzieht El die Trauerriten und klagt laut um Baal. El ersucht seine Gemahlin, Atrt, einen Nachkommen Baals im Königtum vorzuschlagen.«

Gott El taucht um 1400 v.Chr. erstmals in den Keilschrifttexten von Ugarit auf. El war (zumindest für einen Teil der Bevölkerung von Ugarit) der höchste Gott. Er wurde als »Schöpfer der Schöpfung«, »Erbauer des Erbauten« und »Vater der Menschheit« bezeichnet. Diese lobpreisenden Beinamen passen auch auf den Schöpfergott des Alten Testaments Jahwe. Und der hatte – auch – den Beinamen El! Freilich wird häufig der Name El einfach mit »Gott« übersetzt und »El« verschwindet als Name. Ein Beispiel (12)! Wörtlich: »Du El mich sehend!« Freier: »Du bist El, der mich sieht.« Luther-Bibel 2017: »Du bist ein Gott, der mich sieht.« Ein Gott, der mich sieht? Daraus kann man schließen, dass es nicht nur einen Gott gab, sondern mehrere. Und einer davon war »ein Gott, der mich sieht«.

Noch ein Beispiel (13)! Wörtlich: »Er ist El, der mich mit Kraft umgürtet.« Luther 2017: »Gott rüstet mich mit Kraft« Der ugaritische El wird von den Autoren diverser Texte des »Alten Testaments« übernommen, teil als Eigenname, teils als Titel.

Es gibt keine »Mauern« zwischen den Epochen, auch nicht zwischen den Religionen. Eines geht ins andere über, wird verändert und weiterentwickelt. Alles fließt ineinander. Keine Religion entsteht sofort aus dem Nichts. Jede neue Religion entwickelt sich aus einer älteren. Nur rechthaberische Fundamentalisten bauen Mauern, grenzen ab. Wer nicht daran glaubt, alle überzeugen zu können, der konzentriert sich auf eine Gruppe, sperrt sie in »Mauern« und traktiert sie mit Drohungen. Wer nicht glaubt, dem winken Teufel und Hölle.


Fußnoten
(1) Das ägyptische Sprichwort kursiert in voneinander abweichenden Varianten. Drei Beispiele: »Mensch fürchtet die Zeit, Zeit fürchtet die Pyramiden«, »Der Mensch fürchtet sich vor der Zeit – die Zeit fürchtet sich vor den Pyramiden« und »Die Menschen fürchten die Zeit, aber die Zeit fürchtet die Pyramiden«.
(2) Ebenezer Scrooge ist die Hauptperson in der Erzählung »A Christmas Carol« (deutscher Titel: »Eine Weihnachtsgeschichte«), 1843 von Charles Dickens verfasst.
(3) »Odyssee« 11/633, »Ilias« 5/741, 8/349 und 11/36
(4) Hesiod: »Theogonie«, Verse 274-276
(5) Mattievich, Enrico: »Journey to the Mythological Inferno«, Rogem Press, 21. Juni 2010 (»Reise ins Mythologische Inferno« würde der Titel in deutscher Übersetzung lauten. Aber das bahnbrechende Werk wurde nie ins Deutsche übersetzt!)
(6) https://www.ancient-origins.net/myths-legends-europe/ancient-greek-legend-seems-describe-place-peru-early-contact-003153 (Stand 7.10.2019)
(7) »Ancient Greek Legend Seems to Describe a Place in Peru: Early Contact?«,
https://www.ancient-origins.net/myths-legends-europe/ancient-greek-legend-seems-describe-place-peru-early-contact-003153 (Stand 7.10.2019)
(8) 2. Könige 10, Vers 18
(9) Ebenda, Vers 9
(10) Ebenda, Vers 19
(11) »Die mythologischen und kultischen Texte aus Ras Schmra«, übersetzt von J. Aisleitner, 2. Auflage, Budapest 1964, Seite 13
(12) 1. Buch Mose, Kapitel 16, Vers 13
(13) Psalm 18, Vers 33
Siehe http://www.die-buecherstube.de/bibelarb/t19/bk1901.htm (Stand 8.10.2019)

Zu den Fotos
Fotos 1-4: Einige der Monstermauern von Nan Madol. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Cheopspyramide und Sphinx. Historische Aufnahme um 1910. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 6: ‭Monster »Gorgo«: Chavín de Huántar und Syrakus. Zeichnung Grete C. Söcker
Foto 7:  Eine Seite aus Hesiods Theogonie, mittelalterliche Handschrift. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein


515. »Auf der Suche nach den Göttersöhnen«,
Teil 515 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 1. Dezember 2019



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